Konferenz

Kosmisch Werden

Vortrag von Boris Groys

Fr 1.9.2017
17–18h
Eintritt frei
Mit Simultanübersetzung Englisch/Deutsch

Ausgehend von der menschlichen Abhängigkeit von und Angst vor unkontrollierbaren und unberechenbaren kosmischen Ereignissen, präsentierte sich der Russische Kosmismus als eine Bewegung, die die kosmische Konstitution des Menschen offen begrüßte. Diese Offenheit basierte jedoch nicht auf dem Glauben an eine höhere Geistigkeit oder die Gnade Gottes, sondern fußte auf einem radikalen Atheismus, der die Sekularisierung mithilfe neuer Technologien und einer neuen sozialen Ordnung durchsetzen wollte und darin der kommunistischen Idee ähnelte. In seinem Vortrag erörtert Groys die Unterschiede zwischen dem genuin russischen Kosmismus und einer westlichen marxistischen Tradition, seine Beziehung zur nihilistischen russischen Avantgarde und der Ausweitung kosmistischer Theorien auf den Bereich der Unsterblichkeit und der Widerauferstehung. Der russische Kosmismus – und die ihn prägende Idee von Vitalität und Leben – ist keineswegs ein fremdartiges oder exotisches Produkt vorrevolutionären Denkens, sondern gehört zu den Hauptströmungen moderner Denkrichtungen. Groys betrachtet die verschiedenen philosophischen und historischen Zusammenhänge sowie die Annahmen, auf denen der Kosmismus beruhte. Außerdem nimmt sein Vortrag in den Blick, welche Konsequenzen die Gleichsetzung von Kunst und Politik, von Leben und Technologie und von Staat und Museum hatte.

Boris Groys ist Philosoph, Essayist und Medientheoretiker. Nach Lehrtätigkeiten in Philadelphia, Münster und Los Angeles war er Professor für Kunstgeschichte, Philosophie und Medientheorie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Seit 2009 ist er außerdem Professor der Russistik und Slawistik an der New York University. Er hat umfangreich zur Kunst der russischen Avantgarde publiziert und 2003/2004 die Ausstellung Traumfabrik Kommunismus an der Schirn Kunsthalle in Frankfurt ko-kuratiert. 2005 veröffentlichte er gemeinsam mit Michael Hagemeister den Band Die neue Menschheit, der die wichtigsten Texte russischer Kosmist*innen in deutscher Sprache verfügbar macht.