Gegen die Landkarte schreiben
Mit Luciany Aparecida, Vinicius Jatobá, Amara Moira, moderiert von Jess Oliveira
Gespräch
Fr., 10.10.2025
19:30–21:00
Safi Faye Saal
Auf Portugiesisch mit Simultanübersetzung ins Englische und Deutsche
Eintritt frei

Foto: Festa Literária das Periferias (FLUP), 2024
Landkarten versprechen Orientierung, verbinden aber ebenso Gewalt mit der Aufteilung von Gebieten: Grenzen und Nationalstaaten entstehen fast immer aus Gewalt heraus. Vor dem Aufkommen moderner Staaten jedoch wurde der Raum nicht von abstrakten Linien aufgeteilt. Grenzen überschnitten sich, Verbundenheiten verschoben sich und Zugehörigkeit wurde durch Verwandtschaftsbeziehungen, Verpflichtungen und Glauben geprägt. Mit der kolonialen Landkarte wurden diese vielschichtigen Formen des Raums zu festen Grenzen verflacht, die Familien voneinander trennten, Hierarchien untermauerten und bestimmte Lebensweisen marginalisierten oder sogar auslöschten. Gegen die Landkarte zu schreiben bedeutet, diese der Welt aufgezwungenen Koordinaten abzulehnen, die Lücken aufzudecken und durch Sprache, Erinnerung und Vorstellungskraft neue Wege zu schaffen.
Auf dieser Podiumsdiskussion sprechen drei Autor*innen über die Schnittstellen zwischen Literatur und Widerstand. Schreiben dient in diesem Sinne als Mittel, um Geografien neu zu zeichnen, ohne dabei ihre Komplexität zu negieren. Vinicius Jatobá ist für seine gewagten belletristischen, dramatischen und kritischen Experimente bekannt. Er schreibt über Exilerfahrungen, brüchige Intimitäten und instabile Strukturen der Zugehörigkeit. In seinem erzählenden Gedicht Still Life (Granta, 2012) überspannt ein einziger ununterbrochener Satz ganze Generationen und zeigt, wie Erinnerung und die Struktur des Bruchs die Form einer Geschichte prägen können. Amara Moira ist Schriftstellerin, Wissenschaftlerin und Aktivistin, deren Lebenserfahrungen sich in ihrer unbeirrbaren Stimme verdichten. Ihre Essays und Geschichten setzen sich mit hegemonialen Konstellationen von Geschlecht und Sexualität auseinander und legen einen besonderen Fokus auf die Präsenz von Trans-Personen in der literarischen und politischen Landschaft Brasiliens. Mit einer Mischung aus Zärtlichkeit und Unnachgiebigkeit verwandelt sie in ihrem literarischen Schaffen das bloße Bekenntnis in Kritik und persönliche Wahrheiten in kollektiven Widerhall. Luciany Aparecida löst die Idee einer singulären Urheberschaft auf, indem sie unter multiplen ästhetischen Künstleridentitäten schreibt. In ihren Gedichten, Romanen und Theaterstücken beschwört sie die Erinnerung an das ländliche Bahia, die Echos afrobrasilianischer Vorfahr*innen und den Körper als Ort des Widerstands herauf. Ihre Arbeit setzt sich für Vielfältigkeit ein und widersetzt sich den beschränkten Landkarten, die versuchen, Identität oder Literatur einzuhegen.