Internationaler Literaturpreis: Das ist die Shortlist 2024
29.5.2024
Leseperformance zur Shortlist 2024Das Haus der Kulturen der Welt (HKW) gibt die Shortlist des Internationalen Literaturpreises 2024 bekannt.
Zum sechzehnten Mal verleihen das Haus der Kulturen der Welt (HKW) und die Stiftung Elementarteilchen den Internationalen Literaturpreis. Er zeichnet ein herausragendes Werk der internationalen Gegenwartsliteratur in deutscher Erstübersetzung aus und würdigt in dieser Allianz sowohl Originalwerk als auch Übersetzung. Aus den 132 Einreichungen hat die Jury sechs Bücher für die diesjährige Shortlist ausgewählt.
Die Shortlist 2024
James
Percival Everett | aus dem Englischen von Nikolaus Stingl
Carl Hanser Verlag, 2024
Meine Männer
Victoria Kielland | aus dem Norwegischen von Elke Ranzinger
Tropen Verlag, 2023
Kibogos Himmelfahrt
Scholastique Mukasonga | aus dem Französischen von Jan Schönherr
Claassen, 2024
Quallen haben keine Ohren
Adèle Rosenfeld | aus dem Französischen von Nicola Denis
Suhrkamp Verlag, 2023
Meine Katze Jugoslawien
Pajtim Statovci | aus dem Finnischen von Stefan Moster
Luchterhand Literaturverlag, 2024
Wenn es an Licht fehlt
Juan Gabriel Vásquez | aus dem Spanischen von Susanne Lange
Schöffling & Co., 2023
Die Jury über die Titel der Shortlist
James
Percival Everett | aus dem Englischen von Nikolaus Stingl
Carl Hanser Verlag, 2024
Mit diesem Roman erweitert Pervical Everett den weltliterarischen Kanon. James ist eine grandiose Abenteuergeschichte, eine Geschichte Schwarzer Rache, eine Geschichte der Emanzipation – in Anlehnung an den ersten großen US-amerikanischen Roman Die Abenteuer des Huckleberry Finn, erzählt aus der Perspektive des Versklavten James alias Jim. Hier steht die einstige Randfigur im Rampenlicht und schreibt ihre eigene Geschichte. Und zwar nicht mit den gebrochenen Worten, die Schwarzen Menschen früher von ‚weißen‘ Autor*innen in den Mund gelegt wurden, sondern mit dem Vokabular des gebildeten Mannes, der James ist. Die vermeintlich einfältige Sprache der Versklavten wird zur Überlebenstaktik: ein künstliches Idiom, das Schwarze Kinder von den Eltern lernen, um die ‚Weißen‘ in Sicherheit zu wiegen. Eine übersetzerische Herausforderung, die Nikolaus Stingl brillant meistert.
Meine Männer
Victoria Kielland | aus dem Norwegischen von Elke Ranzinger
Tropen Verlag, 2023
Victoria Kiellands Buch erzählt von einer Frau, die sich der Welt nicht verschließen kann und an der Intensität ihrer Wahrnehmung nicht nur selbst zugrunde geht, sondern auch ihre Umgebung mit sich reißt. Meine Männer beginnt – 1876 im ländlichen Norwegen – mit der rettungslosen Liebe der siebzehnjährigen Magd Brynhild zum Erben des Hofs, folgt der Hauptfigur durch diese erste Katastrophe in die Emigration in die USA und immer tiefer hinein in einen Strudel der Zerstörung, an dessen Ende eine Serie von Morden steht. Kielland zieht uns radikal in die Perspektive ihrer Protagonistin, erzählt ganz aus deren mal grenzenlosem, mal erstickend engem Inneren heraus. Ihre Raserei wird zu einem sprachlichen Sturm – und Elke Ranzingers Übersetzung wirft sich mit voller Kraft hinein, erzeugt Zauber und Schmelz, Beklemmung und Schwindel, zieht alle Register von Flüstern bis Schreien.
Kibogos Himmelfahrt
Scholastique Mukasonga | aus dem Französischen von Jan Schönherr
Claassen, 2024
Der Königssohn Kibogo steht in diesem Roman symbolisch für den Widerstreit zwischen traditionellem Glauben und kolonialer Evangelisierung. Das kollektive Gedächtnis erinnert sich an den vor langer Zeit in Ruanda verstorbenen Kibogo, der in den Tagen der Dürre Regen brachte, sich opferte und in den Himmel emporstieg. Mukamwezi, die Frau des Geistes von Kibogo, fragt: „Woran willst du glauben? An das, was die Padri sagen, oder an die Erzählungen deiner Mutter?“ Das schürt Konflikte, die Dorfbewohner*innen wissen nicht mehr, an wen sie sich wenden sollen. Scholastique Mukasonga erzählt diese reiche Geschichte eines Landes, seiner Wurzeln und Legenden in einer zugleich spöttischen und zärtlichen Sprache. Sie lässt die Leser*innen in diese unglaublichen Geschichten eintauchen, die von Generation zu Generation überliefert und im Laufe der Zeit immer weiter ausgeschmückt werden. Diese Kunst des Erzählens spiegelt sich in der präzisen Übersetzung von Jan Schönherr wider, die dem Rhythmus Mukasongas folgt und die Oralität des Textes auf wundervolle Art ins Deutsche überträgt.
Quallen haben keine Ohren
Adèle Rosenfeld | aus dem Französischen von Nicola Denis
Suhrkamp Verlag, 2023
In Adèle Rosenfelds Roman geht es um Münder. Und Stimmen. Und Ohren. Und Licht. Rosenfeld erzählt von Louise, die aus der Welt der Hörenden stammt, wegen ihrer drohenden Taubheit aber in die Welt der Gehörlosen driftet. Die Außenwelt wird für sie zu einer Quelle der Angst; Louise verwendet all ihre Kraft darauf, zu verschleiern, wie wenig sie verstehen kann. „Die Stille wurde zu einem Feind, den es zu bekämpfen galt“, schreibt Rosenfeld und beschreibt an anderer Stelle die „letzten Sonnenstrahlen, die die Modellierungen der Lippen nicht völlig zunichtemachen”. Diese einzigartige Sprache hat Nicola Denis auf herausragende Weise ins Deutsche übersetzt, feinfühlig und mit einem poetischen Gespür für den Klang ihrer Worte. Dies ist eine Geschichte, die so noch nicht erzählt wurde: bewegend, lyrisch, als ein Ausdruck jener Stärke, die das Leben mit einer Hörbehinderung erfordert. Die Hörenden dürfen dankbar sein, die Welt durch Rosenfeld und Denis besser zu verstehen.
Meine Katze Jugoslawien
Pajtim Statovci | aus dem Finnischen von Stefan Moster
Luchterhand Literaturverlag, 2024
Pajtim Statovcis Roman ist ein Knoten, geschnürt aus zwei Erzählsträngen, die sich um die Erfahrungen von Flucht, Exil, Rassismus und Liebe legen und dabei stilistisch mühelos Chatverläufe, Rückblenden und surrealistische Motive aufgreifen. Im Wechsel erzählt er von der jungen Emine, die bei Kriegsausbruch mit Mann und Kindern aus Jugoslawien fliehen muss, und von Bekim, ihrem Sohn, der Männer liebt – beide verbunden durch denselben Mann, unter dessen Gewalt sie leiden. Statovci gelingt es, transgenerationale Traumata und die Folgen des Exils spürbar zu machen, ohne das Thema explizit auszustellen. Im Gegenteil – in dieser skurrilen Fabel findet sich der Protagonist in einer manipulativen Beziehung mit einer homophoben Katze wieder, die ihn schließlich dazu bringt, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Statovcis zurückhaltende Sprache wurde von Stefan Moster schlicht, aber umso wirkungsvoller übersetzt. Ein in seinem trockenen Ton seltener Roman – intelligent, schmerzhaft und nicht ohne Selbstironie.
Wenn es an Licht fehlt
Juan Gabriel Vásquez | aus dem Spanischen von Susanne Lange
Schöffling & Co., 2023
Juan Gabriel Vásquez wagt es, das Dokumentarische mit dem Epischen zu verknüpfen, und fängt damit eine Epoche ein, die in deutscher Sprache zu oft bloß als europäische erzählt wird. Dank Susanne Langes kluger und eleganter Übersetzung kann nun auch eine deutschsprachige Leser*innenschaft der Familie Cabrera vom Spanischen Bürgerkrieg nach Lateinamerika und China folgen und dabei die global wirkenden Konsequenzen des europäischen Faschismus, des Kalten Krieges und der kommunistischen Idee der Weltrevolution miterleben. Vásquez verbindet dabei nicht nur Kontinente, Zeiten und historische Ereignisse, sondern zeigt in seinem durch Klarsicht und Feinsinn geprägten Ton, wie Menschen Ideologien bekämpfen oder ihnen verfallen können. Wenn es an Licht fehlt ist ein facettenreicher Roman, der Einblicke in die lateinamerikanische Filmwelt und Kulturproduktion zusammenführt mit einer herausfordernden, originellen Perspektive auf das Weltgeschehen und einer bewegenden Generationengeschichte.
Leseperformance zur Shortlist
Donnerstag, 30.05.2024, 18 Uhr
Magnus Hirschfeld Bar im HKW
Eintritt frei
Akkreditierung unter presse@hkw.de
Einen Einblick in die Shortlist 2024 erhält das Publikum heute Abend im Haus der Kulturen der Welt: Übersetzer*innen, Schauspieler*innen und HKW Mitarbeitende lesen gemeinsam aus den sechs nominierten Büchern sowohl in den Originalsprachen der Titel als auch in deren deutscher Übersetzung. Die Veranstaltung wird begleitet von Musik von Turi Leng Seong Agostino. Der Abend klingt aus mit einem DJ Set von Edna Martinez und Getränken an der Magnus Hirschfeld Bar.
Wir freuen uns, wenn Sie die Shortlist gemeinsam mit uns feiern!
Ein Reader zur Shortlist ist ab sofort in vielen Buchhandlungen im deutschsprachigen Raum sowie im Haus der Kulturen der Welt kostenlos erhältlich.
Lesegruppen zur Shortlist
Die Titel der Shortlist 2024 werden in den kommenden Wochen bis zur Preisverleihung in mehreren Lesegruppen in Berlin gemeinsam gelesen und diskutiert. Weitere Informationen zur Teilnahme und alle Termine unter: hkw.de/lesegruppen
Preisverleihung
Das Gewinner*innen-Duo des diesjährigen Literaturpreises wird am Freitag, den 5. Juli 2024 um 19 Uhr im Rahmen einer Preisverleihung im Haus der Kulturen der Welt bekanntgegeben. Der Eintritt ist frei.
Die Jury
Der diesjährigen Jury gehören Asal Dardan, Ibou Coulibaly Diop, Beatrice Faßbender, Khuê Phạm, Olga Radetzkaja, Cia Rinne und Deniz Utlu an.
Partner
Der Internationale Literaturpreis wird vom Haus der Kulturen der Welt (HKW) und der Stiftung Elementarteilchen (Hamburg) verliehen.
Weitere Informationen: hkw.de/literaturpreis
Pressefotos: hkw.de/pressefotos
Informationen zum Besuch
Öffnungszeiten
Mi.–Mo. 12:00–19:00
Freier Eintritt immer montags und jeden ersten Sonntag im Monat (Museumssonntag Berlin)
Längere Öffnungszeiten an Veranstaltungstagen
Kinderbetreuung mit Programm
Das HKW bietet zu vielen Programmen kostenlose Kinderbetreuung an. Weitere Informationen auf hkw.de
Aktuelle Informationen zu Besuch und Zugänglichkeit.
Das Restaurant Weltwirtschaft ist täglich geöffnet. Unter der Woche von 12 bis 24 Uhr und am Wochenende von 10 bis 24 Uhr.
Kontakt
Jan Trautmann
Pressesprecher
Lead Communications Officer
Haus der Kulturen der Welt (HKW)
John-Foster-Dulles-Allee 10
10557 Berlin
T: + 49 (0) 30 397 87 157
presse@hkw.de