Lesung

Sigrid Nunez

Downtown, Uptown, Crosstown - Literatur aus New York

Di 30.10.2007
20h
Eintritt: 5 €, ermäßigt 3 €

Aus der deutschen Übersetzung liest Nisma Cherrat

Sigrid Nunez, (c) Marion Ettlinger

Zehn Protagonisten der Literaturszene New Yorks lesen im Haus der Kulturen der Welt: berühmte Stimmen und Newcomer, Romanautoren und Lyrikerinnen. Vielstimmigkeit in jeder Hinsicht - diese Autoren eröffnen Einblicke in die Vielfalt der kulturellen, ethnischen und sozialen Zugehörigkeiten, die das Zusammenleben in New York ausmachen. Sie erzählen von Lebenswelten zwischen den Kulturen, von Erfahrungen am Rande der Gesellschaft und suchen nach Formen, um die Komplexität unserer globalisierten Gegenwart zu fassen.


Wie sich sehr unterschiedliche familiäre und kulturelle Hintergründe mit einem Leben in der Neuen Welt verbinden, davon erzählt Sigrid Nunez als Tochter eines Chino-Panamaers und einer Deutschen, schlicht, unprätentiös und einfühlsam. In ihrem neuesten Werk, „The Last of Her Kind“, rekonstruiert sie die Studentenunruhen der 1960er rund um zwei Frauen in einem kleinen New Yorker College: die eine reich und idealistisch, die andere arm und pragmatisch.

Moderation: Eva Boesenberg, Institut für Anglistik und Amerikanistik, Humboldt Universität zu Berlin



Über Sigrid Nunez

Die New Yorkerin Sigrid Nunez studierte am Barnard College und an der Columbia University. Ihr Roman Wie eine Feder auf dem Atem Gottes (1996) war ein Finalist für den PEN/Hemingway Award für First Fiction und den Barnes & Noble Discover New Writers Award. Nunez publizierte unter anderem in The New York Times und lehrte am Amherst College, am Smith College und an der Columbia University. Zu ihren Studenten gehörte Gary Shteyngart. Vor zwei Jahren war Nunez Fellow der American Academy in Berlin und in 2006 Stipendiatin der New York Foundation for the Arts. Ihr neuester Roman The Last of Her Kind erschien 2006.



Appetizer

"Wir wohnten seit ungefähr einer Woche zusammen, als mir meine Mitbewohnerin erzählte, dass sie ausdrücklich darum gebeten hatte, mit einem Mädchen zusammengelegt zu werden, das aus einer möglichst ganz anderen Welt stammte.

Sie habe keine Mitbewohnerin aus der gleichen privilegierten Welt gewollt, in der sie groß geworden sei, sagte sie. Sie wollte keine Mitbewohnerin, die wie sie (aber das dachte ich, nicht sie) in dem Glauben aufgewachsen war, dass man Sonderwünsche dieser Art äußern und davon ausgehen kann, dass sie erfüllt werden. Ich zum Beispiel hätte nie geglaubt, dass ich bei der Auswahl meiner Mitbewohnerin ein Mitspracherecht hätte. Ich erinnere mich, dass ich in diesem Sommer von der Verwaltung des College-Studentenwohnheims ein paar Formulare erhielt und Fragen wie "Haben Sie etwas dagegen, mit einer Raucherin zusammenzuwohnen?" beantwortete. Aber dass ich die halbe leere Seite, die für Bemerkungen reserviert war, unter anderem mit "Ich möchte eine Mitbewohnerin mit diesem oder jenem Hintergrund" hätte füllen können, wäre mir nie in den Sinn gekommen. Nein, ich schrieb, dass es mir nichts ausmache, mit einer Raucherin zusammenzuwohnen, obwohl ich selbst nicht rauchte. Ich hatte keinerlei Präferenzen. Ich war vollkommen flexibel. Auf der Highschool war ich gut gewesen, hatte es aber nie als selbstverständlich angesehen, dass ich aufs College gehen würde: Niemand in meiner Familie hatte je zuvor studiert. Dass ich es nicht nur aufs College schaffte, sondern auf ein gutes College, empfand ich noch immer ein wenig überwältigend. Ich trug nichts in die Rubrik Bemerkungen ein. Ich hatte nichts zu bemerken, außer danke zu sagen, danke dafür, dass ich angenommen worden war, und als meine Mitbewohnerin mir erzählte, was sie getan hatte, brachte mich das sehr auf. Wie genau hatte sie es ausgedrückt? Mit welchen Worten hatte sie mich beschrieben?"


Aus: Sigrid Nunez: The Last of Her Kind. Picador, 2006, S. 3.

Aus dem Englischen von Anette Grube.