Zum Menü springen

Destination: Tashkent

Erfahrungen des cineastischen Internationalismus

Screenings mit Live-Kommentierung, diskursives Programm mit Keynote-Lectures, Podiumsdiskussionen und Gesprächsrunden

2024

5. Ausgabe des International Asian, African, and Latin American Film Festival in Taschkent, Usbekistan (23. Mai–1. Juni 1978). Die senegalesische Schauspielerin Issa Nyang.

5. Ausgabe des International Asian, African, and Latin American Film Festival in Taschkent, Usbekistan (23. Mai–1. Juni 1978). Die senegalesische Schauspielerin Issa Nyang. Foto: IMAGO/SNA/A. Varfolomeev

Destination: Tashkent ist ein Filmfestival, das 2024 im HKW und an weiteren Orte in Berlin stattfindet. Ausgangspunkte sind Konzept und Geschichte des Tashkent Festival for Asian, African and Latin American Cinema, das von 1968 bis 1988 in Usbekistan stattfand. An der ersten Ausgabe waren über 240 Filmschaffende, Schauspieler*innen, Kritiker*innen und Politiker*innen aus 49 asiatischen und afrikanischen Ländern beteiligt; insgesamt wurden 115 Spiel- und Dokumentarfilme gezeigt. Von 1976 an nahmen auch Filmschaffende aus Lateinamerika teil. Die Heimatländer vieler Beteiligter hatten strategische Bündnisse mit der Sowjetunion gegen Kolonialismus, Kapitalismus und westlichen Imperialismus geschlossen, doch ihre Rolle in Taschkent beschränkte sich keineswegs auf die der nationalen Repräsentanz. Das Kino der sogenannten Dritten Welt wurde aktiv einbezogen, und so entstand ein Raum zum direkten Süd-Süd-Austausch, auch zwischen solchen Ländern, die blockfrei oder sowjet-kritisch eingestellt waren. Ausschlaggebend hierfür waren die zahlreichen Diskussionsrunden, die fester Bestandteil des Festivals waren. 

Das facettenreiche Programm des Tashkent Festival, in dem sowohl populäre Spielfilme als auch aktivistische Dokumentationen ihren Platz hatten, richtete sich an ein breitgefächertes Publikum. Ein umfassendes Übersetzungsprogramm sorgte außerdem dafür, dass auch Einheimische das Programm genießen konnten. In einem derart multilingualen Umfeld stellte die Übersetzungsarbeit eine besondere Herausforderung dar, denn nur wenige Filme waren untertitelt. Das Organisationsteam beschloss daher, Live-Übersetzungen ins Russische (über Lautsprecher), ins Englische, Französische und später auch Spanische und Arabische (über Kopfhörer) anzubieten. Wie die Historikerin Elena Razlogova beschreibt, haben die Übersetzer*innen in Taschkent die Filme buchstäblich neu bestimmt, indem sie eine Live-Performance über die originale Tonspur legten. Jede*r einzelne Besucher*in erhielt eine Simultanübersetzung; wer keine der offiziellen Festivalsprachen verstand, wurde von Dolmetscher*innen begleitet, die Bengali, Khmer, Wolof oder andere Sprachen im Repertoire hatten. So gesehen bildeten Übersetzung und mündliche Kommentierung das Herzstück des Festivals.

Viele Filme, die in Taschkent uraufgeführt wurden, fanden anschließend ihren Weg in die Kinos der damaligen Sowjetunion und ihrer zentralasiatischen Sowjetrepubliken, deren Publikum sich sowohl für große Produktionen aus Indien oder Ägypten als auch für politische Filme aus Indonesien oder Kuba begeisterte. Bis zu seiner letzten Ausgabe im Jahr 1988 war das Tashkent Festival eine der wichtigsten Destinationen für Filmschaffende aus den Ländern des Südens, die dort nicht nur ihre Arbeiten präsentieren konnten, sondern auch einen diskursiven Raum zum langfristigen, solidarischen Austausch vorfanden. Das Festival wurde zu einem Ort des gelebten cineastischen Internationalismus und zu einer Kontaktzone, nicht zuletzt durch seine Lage in einer Stadt, die sich schließlich mit ihrer eigenen (semi-)kolonialen Gegenwart innerhalb der Sowjetunion auseinandersetzen musste. 

Nachdem es lange im Schatten des Kalten Krieges und seiner Verwerfungen stand, hat Berlin sich heute zu einem wichtigen Zentrum der afrikanischen, lateinamerikanischen und asiatischen Diaspora entwickelt und kann vor dem Hintergrund seines besonderen historischen Kontextes für sich in Anspruch nehmen, ein neuer Treffpunkt für Süd-Süd-Kooperationen nach dem Vorbild des Tashkent Festivals zu sein.

2024 lebt der Geist des Festivals an den Spielstätten HKW, Sinema Transtopia und SAVVY Contemporary wieder auf. Neben historischen Produktionen, die die Vielfalt des ursprünglichen Programms widerspiegeln, zeigt Destination: Tashkent auch aktuelle Filme, die die Möglichkeiten und die Zukunft künstlerischer Zusammenarbeit zwischen Süd und Süd ausloten. Einige Vorführungen werden von einem Live-Kommentar begleitet. Das Diskursprogramm geht den Spuren nach, die das Tashkent Festival in heutigen Filmfestivals, Filmproduktionen und Distributionsnetzwerken hinterlassen hat.