AI: Ancestral Immediacies

Oder die Unmittelbarkeit früheren Lebens

Screenings, Performances, Gespräche, Vorträge

29.–30.7.2023

Multiphotonen-Fluoreszenzbild von HeLa-Zellen

Multiphotonen-Fluoreszenzbild von HeLa-Zellen. Foto: Tom Deerinck, National Institutes of Health, CC BY-NC 2.0

AI: Ancestral Immediacies präsentiert Gespräche, Performances und Filme, die sich mit der Entkopplung von Technologie und Körper befassen. Entgegen der technokratischen Vision von artifizieller bzw. künstlicher Intelligenz (AI/KI) als körperloser Superintelligenz, die das Menschliche entweder beherrschen oder zerstören wird, war KI – und Technologie im Allgemeinen – schon immer und lange vor heutigen Diskussionen um Datenextraktion, Datenschutz und Arbeitsplatzverlust untrennbar mit kulturellem Wissen und menschlichen Körpern verbunden. KI verweist auf ein jahrhundertealtes Problem des Wissens und der Ethik seiner Produktion. 

Die Entwicklung und wissenschaftliche Nutzung sogenannter HeLa-Zellen ist ein historisches Beispiel unter vielen. HeLa-Zellen zeichnen sich durch die Fähigkeit unbegrenzter Vermehrung aus. Sie waren und sind für die Entwicklung moderner Krebstherapien unverzichtbar und wurden mit sowjetischen Satelliten ins All geschickt, um die Überlebensfähigkeit des Menschen zu testen. Die ursprünglichen HeLa-Zellen wurden in den 1950er Jahren aus dem Gebärmutterhals von Henrietta Lacks gestohlen, einer Nachfahrin versklavter Menschen. Die Zellen leben bis heute fort, während Lacks in Virginia in einem unmarkierten Grab beigesetzt wurde, auf dem erst 2010 ein Grabstein für sie aufgestellt wurde.

Wenn Körper solcher Art als Technologien verstanden werden, geraten die Dichotomien von künstlich/natürlich, rational/irrational, Geist/Körper, echt/falsch, Intelligenz/Dummheit ins Wanken und verkomplizieren sich gleichzeitig. In dieser Gemengelage erscheint Technologie als eine Praxis, die zeitliche, räumliche und transgenerationale Wissensformen bearbeitet und scheinbar längst vergangene Lebensweisen unmittelbar werden lässt. Technologien sollten nicht als Dinge, sondern als relationale, situierte, kosmologische und kollektive Praktiken begriffen werden. Die Beschäftigung mit der Unmittelbarkeit früherer Zeiten und Leben wird in diesem Projekt zu einer Forschungsstrategie, die untersucht, wie hegemoniale KI die Vergangenheit artikuliert, und die These aufstellt, dass hier im Hinblick auf gesellschaftliche Normen, kulturelle Spaltungen sowie race- und gender-bezogene Ausbeutungen eher eine Wiederkehr vergangener Herrschaftsverhältnisse denn ein radikaler Bruch zu konstatieren ist. 

Demgegenüber führt die unauflösliche Verschränkung von Körpern und Technologien dazu, die verschiedenen Geschichten von Lust und Leid, von Ausbeutung und Zukunftsvision anzuerkennen und zu würdigen. „Der Mutterleib ist die ursprüngliche Technologie“, lautet ein Satz der Künstlerin Tabita Rezaire, in dem sich Kritik und Utopie zu gleichen Teilen offenbaren. Er zeigt, dass Körper die Kraft und Produktivität besitzen, um generative Welten hervorzubringen. Auch wenn diese Kraft stets im Sinne kapitalistischer Gewinne kanalisiert und gegen ihre Quelle gerichtet wird, sollte das Potenzial, das solchen kollektiven Verkörperungen innewohnt, nicht übersehen werden. In welcher Weise lebt ein Teil von Henrietta Lacks bis heute fort, auf der „Suche nach einem Jetzt, das eine Zukunft hervorbringen könnte“, um es mit den Worten von Audre Lorde zu sagen? Wie kann sie überhaupt lebendig sein, wenn doch Lordes Diktum im weiteren Verlauf ihrer Litanei für das Überleben lautet: „Wir waren nie bestimmt zu überleben“? 

AI: Ancestral Immediacies kehrt zu den Wurzeln zurück, zu den Ahn*innen und Vorfahr*innen technologischer Objekte und Systeme, um ihre Lehren für die Gegenwart unmittelbar werden zu lassen. Das Programm befasst sich mit Möglichkeiten der Vorhersage und Zukunftsbildung anhand missachteter, kaum beleuchteter Vergangenheiten und Gegenwarten. Welche Techniken der Prophezeiung und Vorausschau führen in welche Zukünfte? Inwiefern sind rituelle Praktiken Technologien der Wissensproduktion? Und wie werden die vielfältigen althergebrachten und spirituellen Vermittlungen vergangener Zukünfte von technokratischen Visionen verhindert, ausgebeutet und zerstört?