Lesung

Gary Shteyngart

Downtown, Uptown, Crosstown - Literatur aus New York

Di 9.10.2007
20h
Eintritt: 5 €, ermäßigt 3 €

Aus der deutschen Übersetzung liest Frank Arnold.

Gary Shteyngart, (c) Promo

Zehn Protagonisten der Literaturszene New Yorks lesen im Haus der Kulturen der Welt: berühmte Stimmen und Newcomer, Romanautoren und Lyrikerinnen. Vielstimmigkeit in jeder Hinsicht - diese Autoren eröffnen Einblicke in die Vielfalt der kulturellen, ethnischen und sozialen Zugehörigkeiten, die das Zusammenleben in New York ausmachen. Sie erzählen von Lebenswelten zwischen den Kulturen, von Erfahrungen am Rande der Gesellschaft und suchen nach Formen, um die Komplexität unserer globalisierten Gegenwart zu fassen.


Als Kind jüdischer Russen 1979 in die USA eingewandert, greift Shteyngart zur Groteske und Satire, um das Leben in der schwindelerregenden Globalisierung zu erzählen. Er liest aus seinem Roman „Snack Daddys abenteuerliche Reise“ um einen dicken, sexsüchtigen, russisch-jüdischen Oligarchenspross in New York, der eines Tages in Russland festsitzt. Mit sprühender Fantasie geht es um multinationale Konzerne mit mafiösen Strukturen, zerfallende Staaten, US-Imperialismus und „New Tribalism“ – jede Ähnlichkeit mit der Wirklichkeit ist natürlich purer Zufall.

Moderation: Knut Elstermann (freier Journalist)



Über Gary Shteyngart

Gary Shteyngart, 1972 in Leningrad geboren, emigrierte mit seinen jüdisch-russischen Eltern im Alter von sieben Jahren nach Queens, New York. Nachdem er in den frühen 90ern einige Zeit in Prag verbrachte, studierte er am Oberlin College Politikwissenschaft. Danach arbeitete er für verschiedene Non-Profit-Organisationen in New York. Sein Debüt Handbuch für den russischen Debütanten (2003) beendete er in Baku, Aserbaidschan, wo er auch gleichzeitig für seinen zweiten Roman Snack Daddys abenteuerliche Reise (2006) recherchierte. Er publiziert unter anderem in The New Yorker, Granta und Travel & Leisure. Shteyngart lebt in New York, in diesem Herbst ist er Fellow der American Academy in Berlin.



Appetizer

"Und so fand ich mich einen Monat später in einer Mietdroschke, die durch ein schrecklich heruntergekommenes Viertel von Brooklyn rauschte. In der Sowjetunion hatte man uns gesagt, dass Menschen afrikanischer Abstammung – Neger und Negeretten hatten wir sie genannt – unsere Brüder und Schwestern waren, aber den sowjetischen Juden, die damals neu ins Land kamen, schienen sie so fürchterlich wie Kosakenhorden, die über die Ebenen stürmten. Ich dagegen verliebte mich auf den ersten Blick in das bunte Völkchen. Der Anblick der unterbeschäftigten Männer und Frauen, aufgestellt vor endlosen Reihen bröckelnder Veranden und verwahrloster Vorgärten, hatte etwas Verfluchtes, Verruchtes, geradezu Sowjetisches – wie meine sowjetischen Landsleute schienen sie ihre Niederlage zum Lebensstil erhoben zu haben. Der Oblomow in mir war schon immer von Menschen fasziniert, die fast so weit waren, ihr Leben aufzugeben, und das Brooklyn des Jahres 1990 war ein einziges oblomoweskes Paradies. Um gar nicht von den jungen Mädchen zu reden, schon so groß und dick wie Baobab-Bäume, die Brüste geformt wie perfekte Flaschenkürbisse, die sie würdevoll die Straße hinabtrugen; die schönsten Wesen, die ich im Leben gesehen hatte."

Aus: Gary Shteyngart: Snack Daddys Abenteuerliche Reise. Copyright ©Berlin Verlag, Berlin 2006, S. 31f.