Collateral Effects

Collateral Effects

„Collateral Effects hinterfragt die Verschleierungstaktiken, die heute für das zeitgenössische New York, den politischen Diskurs in den USA und die amerikanische Kunst stehen. Die Sektion vermittelt einen Eindruck davon, was es heißt, in New York zu leben, zu arbeiten und seine Arbeit öffentlich zu zeigen – an einem Ort, an dem bloße Kritik oft als Landesverrat und Diskussion als Demagogie wahrgenommen wird.“


Interview mit Laura Carton:

geboren 1970 in Los Angeles (CA), USA, lebt und arbeitet in New York (NY), USA

„Ich hatte unsere Grundrechte fast vergessen – die Verfassung habe ich wohl das letzte Mal mit 12 in der Schule zu Gesicht bekommen. Sie hat mich sehr beeindruckt und mir klar gemacht, wie viele unserer Freiheiten heute unter Beschuss stehen.“


LC: Ich habe hier einige Artikel und Veröffentlichungen über den Investmentclub Pump and Dump. Und das hier sind lauter Bilder, die ich aus dem Internet heruntergeladen habe: Sie sind alle pornografisch und ihre Titel gehen zurück auf die tatsächlichen Namen der Seiten. Als ich mir die Pornografie ansah, wuchs mein Interesse an den Hintergründen, an diesem ganzen Subtext von Klasse, Rasse und Begierde, der von den Körpern verdeckt ist. Alles fing an, als ich eine Wohnzimmerszene sah, in der ein Paar auf der Couch mit was auch immer beschäftigt war, und ich das Regal betrachtete, auf dem das Modell einer 68er- Corvette stand. Ich bin aus Los Angeles, ich liebe Autos, ich liebe es, Auto zu fahren, und dann bemerkte ich im Regal das Buch Früchte des Zorns (Grapes of Wrath). Es veranlasste mich zu der Frage: Was bedeutet mir Früchte des Zorns (Grapes of Wrath), wenn ich es in diesem pornografischen Kontext sehe? Was steuert es zum Ort der Begierde bei? Ich begann, die Pornoseite zu analysieren: Warum gab es auf einigen Bildern erlesene Spirituosen und auf anderen nur Fusel und was bedeutete das? Ich fragte mich, warum kopulierende Körper nicht vor weißen Hintergründen fotografiert werden. Da geht es dann um Themen wie Wiedererkennungswert, sexuelle Fantasien, Identifikationsmöglichkeiten, und so kam es, dass ich mich mehr und mehr für die Hintergründe interessierte. Bestimmt geht es auch darum, mit dem Genre zu spielen. Ohne die menschlichen Körper wären die Bilder vollkommen banal. Dieses Foto hier könnte ein Urlaubsschnappschuss sein, es strahlt ein Gefühl der Annäherung an die obere Mittelschicht aus, mit Imitationen von Gemälden alter Meister und einer Art Lebensstil, der sich in Wahrheit um das Weißsein dreht, auch wenn die Körper selbst davon ausgenommen sind. Es gibt einen derartigen Nischenmarkt für Pornografie. Ich begann also mit meiner Recherche. Ich hatte mich schon eine ganze Zeit mit diesen Arbeiten beschäftigt. Sie waren hier sehr populär und wurden viel ausgestellt. Während meiner Nachforschungen zu diesem Thema stieß ich ungefähr im Jahr 2000 auf das Investmentprojekt. In der New York Times wurde ein Wertpapierhändler erwähnt – Bear Sterns, glaube ich –, der tatsächlich gefeuert worden war, weil er der Presse gegenüber gesagt hatte, dass Pornografie eine gute Investition sei. Ich wusste also, dass es da eine Story gab. Als Nebenprodukt entstand aus diesem Vorfall der Investmentclub. Ich interessiere mich sehr für den Verlauf der Geldströme. Der Investmentclub ist etwas schwer zu erklären. Ich bin keine Wertpapierhändlerin und habe keinen Gewerbeschein, kann also keine Aktien verkaufen, somit ist der Investmentclub eine Gruppe von Menschen, die vielleicht die nötigen Kenntnisse auf diesem Gebiet haben und zusammenkommen, um Informationen auszutauschen und investieren zu lernen. Pump and Dump ist ein Anlageprojekt, ein Investmentclub, der schwerpunktmäßig in den Erwachsenenunterhaltungssektor auf dem Aktienmarkt investiert. In US-Firmen erfolgt der Erwerb dieser Aktienanteile an Pornografie im Geheimen. Meine intensiven Recherchen brachten also ans Licht, dass viele Firmen wie Hilton Hotels, Marriott, AT&T und Disney geheime Kapitalanlagen im Pornobereich haben. Mir lag sehr an Transparenz und Sichtbarkeit. „Pump and Dump“ ist eigentlich ein Begriff aus dem Finanzwesen: Es ist ein Slangausdruck für Investor- Innen, die erst mal Aktien „aufblasen“ – gewöhnlich solche von kleinen Firmen, die ihre Anteile nicht an den großen Börsen, sondern direkt verkaufen. Sie bringen eine große Anzahl von Investoren dazu, die Aktie zu erwerben und wenn sie das Gefühl haben, sie steht ganz oben, stoßen sie sie wieder ab, behalten das ganze Geld und bewerben sie nicht weiter. Am Ende geht die Firma bankrott und alle Investoren außer den ursprünglichen verlieren ihr Geld. Mit dem Einzug des Internets ist die „Pump-and-Dump“-Masche viel einfacher geworden. Den Titel Pump and Dump habe ich also nicht nur als sexuelle Anspielung gewählt, sondern auch wegen seiner Assoziation mit Finanzbetrug. Es gibt in Amerika nur zwei oder drei Pornoaktien, die offen an der Börse gehandelt werden. Aber in anderen Ländern gibt es weitere, in die wir investieren, also erstellte ich eine Liste von ungefähr 50 US-Firmen, die heimliche Pornoanteile besitzen. Diese verbergen sich hinter der Bezeichnung „Medien und Unterhaltung“ und sind daher nur sehr schwer auszumachen, weil sie in den Jahresberichten nicht separat aufgeführt werden. Hauptsächlich wird der Handel mit Pornoaktien über Geschäftsbeziehungen und über Zweig- und Tochtergesellschaften abgewickelt. Es handelt sich also bei diesem Club um einen sozialen Raum, der sich größtenteils im Internet konstituiert. Hauptberuflich arbeite ich für äußerst finanzkräftige Einzelpersonen, beschäftige mich also ständig mit Hedge-Fonds und Finanzfeldern. Das ist sehr interessant, da all diese Geschäfte, Deals und Börsengänge streng geheim gehalten werden. Ich will die Finanzdaten der Wall Street so sichtbar und transparent wie möglich zeigen. Also werden sämtliche Geschäfte, Investitionen und alles andere im Internet verfügbar sein, damit der User sich auf der Webseite über jedes einzelne Geschäft, vierteljährliche und jährliche Berichte zu Aktienbeständen sowie die Versammlungen informieren kann. Der Investmentclub ist zu monatlichen Versammlungen gesetzlich verpflichtet, und was die Anwesenden dort wirklich tun, ist, die Recherchearbeit zu verschiedenen Aktien aufzuteilen. Aber weil ich weiß, dass die Leute hier sich nicht gerade um diesen Job reißen, mache ich das meiste davon. Es ist also einfach nur eine Art des Geldverdienens und außerdem kann ich die Kunstszene auf diese Weise vollständig umgehen.


Aus einem Interview, das von Shaheen Merali im Dezember 2006 in New York geführt wurde.