L is for the Way You Look at Me 2025–2027
Der im Jahr 1965 postum veröffentlichte Hit „L-O-V-E“ der Jazz-Legende Nat King Cole präsentiert ein aus heutiger Perspektive recht klassisches Konzept der Liebe. Denn die im Stück besungene Liebe ist gekennzeichnet durch Exklusivität (O ‘cause you’re the only one I see / Oh, weil du die einzige bist, die ich seh’), Lobpreisung (V is very, very extraordinary / V ist sehr, sehr extraordinär) und eine nie dagewesene Intensität (E is even more than anyone you adore / E ist sogar mehr als alle, die du liebst). Die Liebe, so heißt es in dem Lied, ist sowohl alltäglich als auch außergewöhnlich, „beständig und vergänglich, expansiv und territorial, revolutionär und konservativ“[1]. Diese Doppeldeutigkeit herrscht ebenso im zeitgenössischen Diskurs über die Liebe vor. Auch dieser verblüfft und betört uns. Er verleiht privatisierten und von der Logik des Eigentums geprägten Beziehungen göttlichen Segen und bildet den strukturellen Unterbau von rassifizierten Staaten, atomisierten Familien und Individuen. Die Aufwertung von Besitzdenken legitimiert verschiedene Formen von Überwachung, Zensur und Xenophobie, während sie ironischerweise Hoffnungen auf Freiheit und Einheit weckt. Angefangen mit dem zunehmend ausgrenzenden Narrativ der religiösen Vorherrschaft, des Nationalismus und des Individualismus über die Rationalisierung von Wettbewerb als dem einzigen Mittel für Glück, Erfolg und Überleben bis hin zur Auslöschung vieler Lebewesen, Spezies und Ökosysteme zugunsten einer anthropozentrisch organisierten Welt scheinen unsere gegenwärtigen Probleme eng mit den Verwirrungen der Liebe verwoben zu sein.
Wenn der heutzutage vorherrschende Diskurs über die Liebe uns an das Netz der westlichen Moderne und ihrer Biopolitik bindet, dann besteht vielleicht eine der größten Illusionen, zu denen er verleitet, in dem Eindruck, dass „wir die Liebe schon immer gekannt haben“[2]. Ein kurzer Blick in die jüngere Geschichte zeigt, wie sich die Liebe unter verschiedenen Initiativen und Regimen, von religiösen Schriften und Werbejingles bis hin zu revolutionären Vorkämpfer*innen und nationalistischen Slogans, verschoben und verändert hat. Anstelle einer unveränderlichen Gestalt in Form eines emotionalen Ideals funktioniert die Liebe folglich viel eher entsprechend der Logik eines Verbs, das seine Form wandelt und gebeugt wird. Sie mobilisiert uns für unterschiedliche Bewegungen und Ordnungen. Auch fördert sie eine Reihe von menschlichen Handlungen, die unzählige Beziehungen schaffen, welche uns wiederum enger mit der Welt verweben. Zu fragen, wie wir lieben können, heißt demnach, danach zu fragen, „wie wir den Rhythmus der Zusammenkunft, den wir Liebe nennen, praktizieren können, indem wir mit unseren Sinnen am Prozess der Zugehörigkeit zur Welt teilnehmen, anstatt davon auszugehen, dass sie zu uns gehören würde“[3].
Fangen wir ganz von vorne an. L is for the Way You Look at Me.
Wir könnten den Akt der Liebe zunächst mit einem Blick beginnen. In einem ontologischen Sinn leitet ein Blick die Erweiterung der Subjektheit ein. Es ist die Erfahrung, von deinem Blick erfasst zu werden, die mich dazu bringt, meine Existenz durch die unzähligen Korrelationen, an denen ich in der Welt teilhabe, zu erfahren: Ich existiere nicht vor diesen Beziehungen, vielmehr existiere ich ihretwegen. Zu schauen bedeutet also, meine Zartheit und Grobheit in Bezug auf die Texturen anderer Körper zu verstehen, meine Knochen und mein Blut in Bezug auf Felsen und Erdboden, meine Atmung und meinen Puls in Bezug auf Wind und Gezeiten.
Jedoch erinnerte uns schon Frantz Fanon daran, dass „in einer kolonisierten und zivilisierten Gesellschaft (...) jede Ontologie unrealisierbar“[4] wird. Zu schauen wirft auch die Frage auf, wer schauen darf und wer nachhaltig zur Passivität und zum Schweigen verdammt ist. Wie kann man über das Primat des Blicks gegenüber den anderen Sinnen in unserer von Bildern geprägten Welt nachdenken? Wie kann man über die den Blick versperrenden Kategorien, Grenzen und Mauern hinweg in die unsichtbaren Strukturen, Geschichten und Welten heineinsehen? Zu schauen heißt zu lernen und zu verlernen, Fürsorge zu geben und zu erhalten. Es stellt einen Versuch dar, das unebene Terrain einer hochgradig stratifizierten Welt zu kartografieren und sich dennoch darin zurechtzufinden. Die Welt zu lieben, amor mundi, ist also „eine Hinwendung zu dem, die Akzeptanz dessen, was geschehen ist, wie entsetzlich es auch sein mag, und dem, was jetzt gerade geschieht“[5].
L is for the Way You Look at Me entfaltet sich als Reihe von Workshops, Filmvorführungen, Lesegruppen und Veranstaltungen zum gemeinsamen Austausch, die von 2025 bis 2027 das Diskursprogramm des HKW bestimmen. Das Programm begreift den Diskurs als ein System der Wissensproduktion und Bedeutungsgebung, das durch das Textuelle, das Verbale, das Ästhetische und das Somatische zum Tragen kommt. Es bewegt sich spielerisch zwischen den verschiedenen Disziplinen und erforscht neue Vorstellungen und Inszenierungen von Liebe. Von 2025 bis 2027 verfolgt L is for the Way You Look at Me aufeinanderfolgend drei unterschiedliche Themen, die jedoch eng miteinander verbunden sind: den Mikroorganismus, den menschlichen Körper und den geologischen Körper. Über verschiedene Körper, Maßstäbe und Wissensgebiete hinweg zielt das Programm darauf ab, einige der vergessenen und ungesehenen Verbindungen und Knoten wahrnehmbar zu machen, die die Erfahrung, den Einfluss und die Impulse dessen, was wir Liebe nennen, erfinden, neu erfinden und erweitern.
[1] Eleanor Wilkinson, „On love as an (im)properly political concept”, Environment and Planning D 35/1 (2016), S. 57–71.
[2] Timothy Laurie und Hannah Stark, „How To Do Politics With Love”, Capitalism and Schizophrenia: Conference for the Cluster for Organizations Society and Markets (COSM), University of Melbourne (24. September 2015), S. 1.
[3] Lauren Berlant, „A PROPERLY POLITICAL CONCEPT OF LOVE: Three Approaches in Ten Pages”, Cultural Anthropology 26 (2011), S. 684.
[4] Frantz Fanon, Schwarze Haut, weiße Masken, übers. v. Eva Moldenhauer, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1985, S. 79.
[5] Tara McDowell, „Amor Mundi: Towards a Curatorial Ethics for Climate Crisis”, Dystopian and Utopian Impulses in Art Making: The World We Want, Bristol: Intellect Books, 2023, S. 257.