Jurystatement

Die Gedichte in Kim Hyesoons Autobiographie des Todes sind Übersetzungen aus der Muttersprache des Todes. Sie sind ein Wunder, denn sie eröffnen die Möglichkeit, dieser Sprache zu lauschen, wie sie auf der Schwelle zum Jenseits klingt. Für jeden der 49 Tage, die der Geist in der buddhistischen Tradition für die Reise nach dem Tod braucht, findet sich in diesem Band ein Gedicht. Die Verse von Kim Hyesoon transzendieren in ihrer Jenseitssprache das Bekannte und Vertraute und schaffen es paradoxerweise gerade deshalb, das Unbegreifliche – den Tod – ein Stück fassbarer zu machen. Durch die Übersetzung von Sool Park und Uljana Wolf stellen sich sofort auch Bezüge in der Zielsprache her: „Das Nicht genichtet, des Nichts genichtigt, ist der Nichtherr nicht Herr, denn allein das Nicht ist der Herr des Nichts“ – man denke an Meister Eckhart: „Wenn die Seele in das ungemischte Licht kommt, so schlägt sie in ihr Nichts so weit weg von ihrem geschaffenen Etwas in dem Nichts, daß sie aus eigener Kraft mitnichten zurückzukommen vermag“. Die Übersetzer*innen haben nicht nur aus dem Koreanischen ins Deutsche übersetzt, sondern aus einer Geistersprache in eine Geistersprache – der haben sie ihre tiefe Kenntnis von Texten in der Zielsprache mitgegeben, die ebenfalls versuchen, mit dem Tod zu sprechen.
– Deniz Utlu

Kim Hyesoon, 1955 in Uljin geboren, ist Lyrikerin, Essayistin und Kritikerin. Sie studierte koreanische Literatur. Themen wie Emanzipation und Freiheit und immer wieder Bezüge zu historischen und gesellschaftspolitischen Fragen sind zentral in ihren unkonventionellen Arbeiten. Sie gehört zu den bedeutendsten modernen Lyrikerinnen Koreas, wurde als erste Autorin mit dem Midang Award ausgezeichnet und lehrt Kreatives Schreiben am Seoul Institute of the Arts.

Sool Park, geboren 1986 in Südkorea, ist seit 2023 Juniorprofessor für Interkulturelle Philosophie an der Universität Hildesheim. Er übersetzte u. a. Wittgenstein, Nietzsche und Hölderlin ins Koreanische und schreibt philosophische und literarische Texte auf Deutsch und Koreanisch.

Uljana Wolf, geboren 1979 in Berlin, ist vielfach ausgezeichnete Lyrikerin und Übersetzerin. Zuletzt veröffentlichte sie den Essayband Etymologischer Gossip, der mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde, und den Gedichtband muttertask. Sie übersetzte u. a. Valzhyna Mort, Erín Moure und Don Mee Choi ins Deutsche.

Info:
Kim Hyesoon: Autobiographie des Todes
Aus dem Koreanischen von Sool Park und Uljana Wolf
Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, 2025
Leseprobe im Reader zur Shortlist [PDF; ca. 0,7MB]
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