In seinen literarischen und visuell dichten Videoarbeiten, Zeichnungen, Publikationen und Installationen erschafft Roee Rosen Figuren, zeichnet Lebensläufe fiktiver Künstler*innen nach, arbeitet mit Alter Egos und setzt sich in Verwirrspielen kontrovers mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts sowie Fallstricken aktueller Politik und Gesellschaft auseinander. Wie Gegenwart erzählt wird, mit welchen Motiven, reflektiert Rosen schonungslos in Bezug auf seine eigene Position, wenn er sich diesen Themen künstlerisch und erzählerisch nähert. Dabei dienen Zerrbilder und Freiräume als experimentelle Flächen für das Durchspielen möglicher Lebens- und Zeitläufe: Oft werden uns Rosens eigene Abgründe, Faszinationen, Besessenheiten, aber auch Ängste vor Krankheit und Tod gewahr, die er überaus kunstvoll im Leben derer, die er erschafft, nivelliert. Maxim Komar-Myshkin, eine von Rosen wieder zum Leben erweckte Figur, ist ein russischer Dissident, Künstler und Emigrant. In der Gewissheit, auf Befehl Wladimir Putins ermordet zu werden, nahm sich Myshkin im Jahr 2011 das Leben. In seiner Wohnung wurde unter seinen persönlichen Hinterlassenschaften Vladimir’s Night entdeckt – ein Album aus Versen und Zeichnungen, in dem der russische Präsident verschiedentlich mit Objekten gefoltert und schließlich getötet wird. Annotationen eröffnen den gesamten Verschwörungskosmos russischer Geschichte und gleichzeitig Komar-Myshkins künstlerische Rache an Putin. OUT („TSE“) (2010), beginnt mit einer quasi-dokumentarischen BDSM- und Interview-Szene, die sich als Vorspann zu einem Exorzismus entpuppt, in dem die Sub der Dom statt mit Schmerzensschreien mit Geständnissen in ganzen Sätzen antwortet, mit verzerrter Stimme und Zitaten von Avigdor Liebermann, einem rechtsextremen Politiker, zum Zeitpunkt der Entstehung des Films israelischer Außenminister. Die letzte musikalische Szene des Films ist ein Lied, das auf den Worten des russischen Dichters Sergei Jessenin aus seinem Brief an die Mutter basiert.

The Gaza War Tattoos (2024–2025) ist die jüngste Werkserie von Rosen. Die Kulturgeschichte von Tätowierungen ist vielschichtig—Schmuck über Markierungen bis zu Akten von Rebellion. Rosen lotet mit seiner Serie diese Bedeutungen im Kontext des fortdauernden Krieges und seiner Gräueltaten aus. The Dreadful Dreidel setzt sich ausschließlich aus Namen zusammen, die die israelische Armee ihrer militärischen Gewalt im laufenden Jahrhundert gegeben hat. Die überwiegende Mehrheit dieser Namen hat einen unheimlich pastoralen Charakter, einige bedienen sich der krassen Erhabenheit biblischer Ehrfurcht, andere sind Neusprech-Umkehrungen, zwei Namen erinnern an Kinderreime. In den Tätowierungen wird auf einen investigativen Bericht der New York Times vom Oktober 2024 Bezug genommen, in dem die Bezeichnungen „Mosquito Procedure” (Mückenprozedur) oder „Wasp Procedure” (Wespenprozedur) für den Einsatz von Zivilist*innen als menschliche Schutzschilde beschrieben werden. Während die erste Bilderserie aus dem Jahr 2024 Emulationen von Tätowierungen waren, die mit Make-up, Aufklebern und Bildbearbeitung realisiert wurden, besteht die zweite Serie aus dem Jahr 2025 aus echten Tätowierungen: verstörend, grausam, und von einer wahrhaft durchstechenden Klarheit.    

Werke in der Ausstellung: The Gaza War Tattoos (2024–2025), Fotoserie, Maße variabel, 2025er Edition , v. l. n. r.: Night Skies with Full Moons (A Witness); Night Skies Crescent Moons (Evidence); Safe Zone, Arabic; Safe Zone, English; Safe Zone, Hebrew; The Dreadful Dreidel, a Military Historical Poem; The Dreadful Dreidel, a Military Historical Poem, Hebrew; Burning IV; Burning Book; Total Victory, Hebrew; Total Victory, English; Total Victory, Arabic; A Tunnel; Listening; A Landscape with a bed; Mosquito Procedure; Wasp Procedure; Crying Skulls I („forked Tongue,“ Nape); Crying Skulls II („Grimace,“ belly); Crying Skulls III („Foolish Virgin,“ wrist); Crying Skulls IV („Aghast,“ hand); A Hidden Tunnel. The Gaza War Tattoos (2025er Edition) wurde in Auftrag gegeben vom Haus der Kulturen der Welt (HKW) und produziert von Roee Rosen und HKW, 2025; OUT („TSE“) (2010), 1-Kanal-Video, Farbe, Ton, 34'; Roee Rosen, Maxim Komar-Myshkin, Vladimir’s Night (2013/2025), Diashow mit Gouachen auf Papier, Maße variabel. Courtesy Roee Rosen. Mit freundlicher Unterstützung von Artis