Michaël Borremans verknüpft in seiner Malerei altmeisterliche Techniken mit existenziellen Fragen zur conditio humana und erschafft so enigmatische Tableaus, die gleichermaßen berühren, irritieren und zum Nachdenken anregen. Die hier gezeigten Bilder aus dem Zyklus Fire from the Sun (2017) werfen fundamentale Fragen auf: Ist der Mensch in seinem Urzustand gut oder böse? Sind Kinder engelsgleiche Gestalten, unbefleckte Seelen? Oder waltet im Menschen schon immer das Böse, der gegen seinesgleichen gerichtete Aggressionstrieb? Die Bilder führen explizit (Ur-)Szenen auf – erkenntlich an den drapierten Vorhängen und der reduzierten Ausstattung –, die überall und nirgends spielen, Urgrund und Abgrund des Menschlichen zeigen. Die Gabe des Feuers als Keim der Zivilisation ist hier unauflöslich mit Gewalt verflochten. Oder ist das Ganze bloß ein Spiel? In ihrer Rätselhaftigkeit, oder anders formuliert: ihrer Deutungsoffenheit weckt die Serie Assoziationen zu anderen emblematischen Figurationen mythologisch aufgeladener Momente der (Ent-)Zivilisierung: etwa zu der auf einer einsamen Insel gestrandeten Kinderschar in William Goldings Herr der Fliegen, die in Rituale faschistischer Herrschaft und Unterdrückung regrediert (und für die das von der Sonne gespendete Feuer ebenfalls eine zentrale Rolle spielt); zu im kolonialen Kontext entstandenen bildlichen Darstellungen von Kannibalismus in Reiseberichten des 16. Jahrhunderts, etwa bei Hans Staden; oder zum Nexus von Werkzeuggebrauch und Gewalt in der Eröffnungssequenz „The Dawn of Man“ von Stanley Kubricks 2001 – Odyssee im Weltraum. Im Unterschied zu diesen verweigert Borremans jegliche interpretatorische Festlegung, die Szenerie rundet sich nicht zum Mythos, bleibt Fragment: flackernde Erinnerungsbilder, die dadurch umso verstörender wirken.

WERKE IN DER AUSSTELLUNG: Fire from the Sun (2017), Öl auf Karton, 28,2 × 34,2 cm, gerahmt: 46,9 × 52,6 × 4 cm, Öl auf Holztafel, 22,7 × 27,1 cm, gerahmt: 41,5 × 45,5 × 2 cm, Öl auf Holztafel, 21,9 × 30,8 cm, gerahmt: 40,5 × 49,3 × 2 cm. Courtesy Michaël Borremans und David Zwirner