1989 fiel die Mauer, und die Partei, die das sozialistische Ostdeutschland regiert hatte, brach auseinander. Die historische Wende in jenem Jahr erschütterte auch den Status der zahlreichen Migrant*innen, die in der DDR lebten, lernten und arbeiteten. Mit dem Ende der Institutionen und dem Verlust der Basis für die Wirtschaft, Gesellschaft und Politik im Land erfolgte ein tiefgreifender sozialer Wandel. Im neu vereinten und für viele prekären Deutschland erstarkten Rassismus, Xenophobie und Rechtsextremismus. Das Material, das im fünften Cluster zusammengetragen wurde, erzählt von den Menschen, die in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt wurden, reflektiert die Bedingungen und das politische Engagement jener, die blieben, und wirft den Blick auf Aspekte des langen Weges hin zu Reparationen.

Die DDR existierte bis zur offiziellen Vereinigung Deutschlands im Oktober 1990. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten auch die internationalen Abkommen der Deutschen Demokratischen Republik Gültigkeit. Doch es zeichnete sich schnell ab, dass es zu einem Systemwechsel kommen würde. China, Angola und andere Staaten riefen daher bereits kurz nach dem Mauerfall ihre in der DDR arbeitenden Staatsangehörigen zurück. Doch nicht alle ,Bruderländer‘ wählten diesen Weg, und so wurden die Betriebe in Ostdeutschland bereits im Januar 1990 eigenständig aktiv: Sie entließen ausländische Beschäftigte, kündigten Arbeitsverträge und erhöhten die Mieten für Werkswohnungen oder ordneten deren Zwangsräumung an.

Knapp 17.000 seit 1979 in der DDR lebende mosambikanische ‚Vertragsarbeiter‘ – nach Angaben des mosambikanischen Arbeitsministeriums – wurden zur Rückkehr in ein vom Bürgerkrieg zerstörtes Land gezwungen, viele von ihnen ohne das ihnen zustehende Arbeitsentgelt zu erhalten. Die Ausbildung, die die madgermanes – in Anspielung auf „Made in Germany“ – in Deutschland genossen hatten, war angesichts der Lage in der Heimat wertlos. Ein signifikanter Teil ihrer Löhne, den die DDR einbehalten hatte, um – so die Begründung – die Rückkehr der Arbeitsmigrant*innen und den Aufbau der (zu diesem Zeitpunkt bereits zusammengebrochenen) Volksrepublik Mosambik zu finanzieren, wurde bis heute nicht ausgezahlt. Die anhaltenden Proteste der madgermanes beziehen sich jedoch nicht nur auf die nie erfolgte Entlohnung für ihre Arbeit, sondern auch auf die zerrissenen Leben: Familien- und Freundschaftsbande wurden abrupt durchtrennt und in vielen Fällen für immer beschädigt. Das Freiwilligennetzwerk Reencontro Familiar bemüht sich in Deutschland und Mosambik um die Zusammenführung der Familien, die damals getrennt wurden.

Unter den ehemaligen mosambikanischen ,Vertragsarbeitern‘ waren die Frauen in der Minderheit, und sie tauchen im öffentlichen Diskurs weitaus seltener auf. Ana Raquel Masoio, Graziel Jostino Chambule (mit ihrem in der DDR geborenen Sohn Juma Madeira Junior) und Ilda Melembe sind – so ihre Selbstbezeichnung – regressadas (Rückkehrerinnen). Sie teilen ihre privaten Archive und Zeuginnenberichte, schildern individuelle Erwartungen und kollektive Realitäten, interkulturelle Unterschiede und Solidaritäten, Mutterschaft, Ausgrenzung und Gewalt sowie die Rückkehr in eine unbekannte Heimat. Der Forscher und Künstler Aghi fotografierte und interviewte sie in ihren heutigen Wohnungen in Mosambik und montierte die Bilder in der für die Betriebe der DDR typischen Ästhetik.

Von rund 60.000 vietnamesischen ‚Vertragsarbeitern‘ im Jahr 1989 blieben nach der deutschen Vereinigung 16.000 in Deutschland laut Ausländerbeauftragte Almuth Berger. Erst 1997, nach jahrelangem politischen Kampf, konnten die ehemaligen ,Vertragsarbeiter‘ der DDR eine ständige Aufenthaltserlaubnis erhalten. Bis dahin lebten viele von ihnen in permanenter rechtlicher, ökonomischer und sozialer Ungewissheit. Das Foto von José Giribás Marambio aus 1993 entstand anlässlich der Polizeirazzia in der Wohnung eines ehemaligen vietnamesischen ,Vertragsarbeiters‘. Zwei weitere Aufnahmen Maramios von 1993 zeigen ehemalige vietnamesische ,Vertragsarbeiter‘ bei einer Demonstration gegen rassistische Morde und Polizeigewalt im jüngst vereinten Deutschland. Die nach dem Mauerfall in Deutschland gebliebenen ‚Vertragsarbeiter‘ aus Vietnam waren eine Minderheit verglichen mit den im März 1990 Deportierten und jenen Personen, die nach Verhandlungen mit der Bundesregierung im Juni des gleichen Jahres Rückflugtickets erhielten und eine Abfindung vereinbarten (die jedoch nicht immer gezahlt wurde). Wer sich zum Bleiben entschloss, musste sich mit verwirrenden, teils unverständlichen Informationen über die Bestimmungen des Bleiberechts beziehungsweise der Optionen einer ständigen Aufenthaltserlaubnis zurechtfinden. Deutschland nach der Vereinigung übernahm den unklaren Einwanderungsstatus des Westens: eine behördliche Genehmigung in Verbindung mit der sozialen und politischen Weigerung, die Nation als Einwanderungsland zu verstehen. Damit wurde verschiedenen Gruppen ehemaliger DDR-Beschäftigter ein unterschiedlicher Status zugewiesen. Wer eine ausreichende Zahl von erwerbstätigen Jahren nachweisen konnte, erhielt einen gesicherten Aufenthaltstitel und durfte die Familie nach Deutschland nachholen. Wer den Bedingungen dieser neu eingeführten Regelung nicht entsprach, musste weiter mit der Ungewissheit eines permanent vorläufigen Rechtsstatus leben. Neben bürokratischen Hürden und undurchschaubaren Verwaltungsregularien erlebten die in Deutschland Bleibenden systemische und strukturelle Xenophobie, Rassismus und antiasiatischen Hass, die sich in brutalen Gewaltattacken Einzelner wie auch in Gruppenangriffen auf ehemalige ,Vertragsarbeiter‘ und Migrant*innen manifestierten. Infolge der nationalen Vereinigung kam es zu einer Zunahme von Rechtsextremismus und Rassismus im ganzen Land. Vietnamesische Eingewanderte und ein Wohnheim für mosambikanische ,Vertragsarbeiter‘ wurden zur Zielscheibe einer Anschlagsserie 1991 in Hoyerswerda. Ein Jahr später kam es zu xenophoben Pogromen gegen vietnamesische Migrant*innen und asylsuchende Rom*nja in Rostock-Lichtenhagen. In Westdeutschland wurden türkische Familien zu Opfern rechtsextremer Brandanschläge 1992 in Mölln und 1993 in Solingen.

Struktureller Rassismus und Rechtsextremismus nahmen mit der Vereinigung Deutschlands nicht ihren Anfang. Sie sind Kontinuitäten der deutschen Geschichte, die sowohl in der BRD als auch in der DDR deutliche Spuren von Kolonialismus und Nationalsozialismus trugen. Ein Beispiel ist die Ermordung Amadeu Antonios (1990) und Nguyễn Văn Tús 1992 in Berlin-Marzahn sowie und Phan Văn Toàn (1997) durch einen Sympathisanten der Deutschen Volksunion (DVU). Bis heute engagieren sich mehrere Initiativen für die Erinnerung an die Opfer sowie die Aufklärung und Anerkennung der rassistischen und rechtsextremen Morde. Ihre Arbeit unterstreicht die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Ursachen und Konsequenzen dieser Taten, die sich nicht wiederholen dürfen. Kampagnen wie Light Me Amadeu und Aktionen im Gedenken an Nguyễn Văn Tú und Phan Văn Toàn stehen für eine aktive Erinnerungskultur im öffentlichen Raum. Die Initiativen organisieren Gedenkveranstaltungen, fordern Gedenktafeln und Straßennamen, die an die Opfer erinnern.

2021 eröffneten die beiden ehemaligen ,Vertragsarbeiter‘ Văn Giang Bùi und Mạnh Hùng Lê ihren DDR-Cafe-Imbiss in Hanoi als Begegnungsstätte für ihre früheren Kolleg*innen. Mit der von ihnen gegründeten Gruppe DDR-Erinnerungen organisieren sie Versammlungen und ein Archiv der Erinnerungsstücke, für das sie regelmäßig Spenden erhalten. In Ost- und Westdeutschland, von Maputo bis Hanoi, bahnen sich ehemalige DDR-Migrant*innen, ihre Kinder und Kindeskinder, ihren Weg durch die Reste einer komplexen, verwickelten und von tiefen Rissen gekennzeichneten Geschichte, die sie miteinander verbindet und auf deren Grundlage sie für Gerechtigkeit und Anerkennung kämpfen.