In einem jüngst von Hai Nam Nguyen in Vietnam geführten Interview weigerte sich Le Huy Van, etwas über seine Zeit in der DDR zu sagen. Schon die Prämisse sei falsch, kommentierte er. Er wolle sich vielmehr auf den Kontext konzentrieren, in dem sich das Gespräch verortet: Echos der Bruderländer. Was ist ein Echo? „Ein Echo ist nicht ein zurückhallendes Geräusch oder die schlichte Reflexion eines Tones“, erklärte Le Huy Van. „Der Widerhall der Klangwellen ist bereits verzerrt. Der ursprüngliche Klang ist verändert. Ich lernte in der DDR, ich erfasste, ich begriff und modifizierte. Ich nahm die Dinge nicht für bare Münze. [...] Auch ein Echo gibt etwas zurück, nicht wahr?“

Die Jahre 1956 bis 1959 verbrachte Le Huy Van im Dresdener Maxim-Gorki-Heim (MGH). Mit zweihundert anderen Kindern und fünf vietnamesischen Lehrenden reiste der Zwölfjährige von Hanoi nach Sachsen, um das eigens für sie gegründete Internat zu besuchen. Bereits im Jahr zuvor hatte man sechzig Kinder aus Vietnam ins nahegelegene Käthe-Kollwitz-Heim geholt. Die Schüler*innen der beiden Einrichtungen wurden als Moritzburger Kinder bekannt.

1959 beendete Le Huy Van die Schule des MGH, blieb anschließend jedoch für sein Filmstudium in Dresden. 1962 kehrte er nach Nordvietnam zurück, um dort seine Ausbildung zu beenden. Mit Beginn der US-Bombardierung 1965 schickte Vietnam Moritzburger Absolvent*innen der 10. Klasse zum Studium erneut in die DDR. Le Huy Van immatrikulierte sich im Studiengang Industriedesign an der Hochschule für industrielle Formgestaltung Burg Giebichenstein in Halle. Später übernahm er in Nordvietnam das Amt des Stellvertretenden Rektors und Vizedekans der Fakultät für Industriedesign der Universität Hanoi, pflegte jedoch weiterhin den intensiven Austausch mit ehemaligen Kolleg*innen und Mentor*innen in Halle, die er regelmäßig zu pädagogischen Begegnungen nach Hanoi einlud. Noch heute steht er in Kontakt mit ihnen.

Die großen Austauschprogramme zwischen den ‚Bruderländern‘ lebten von der aktiven Beteiligung verschiedener Gruppen von Intellektuellen, Studierenden und Lehrenden. Sie engagierten sich individuell und kollektiv im interkulturellen Dialog, häufig auch auf internationalen Reisen. Sie leisteten ihren Beitrag zu den – in der Regel staatlich strikt kontrollierten – Kooperationsprojekten zur Schaffung von Internaten und anderen Bildungszentren. Die pädagogischen Initiativen gründeten nicht nur auf den sozialistischen Idealen der internationalen Zusammenarbeit. Vielmehr wirkten sie auch als Elemente der strategischen Orientierung der Regierung auf wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Ziel der Förderung von Infrastruktur und Ressourcenextraktion. Ab den frühen 1980er Jahren wurden die Bildungsprogramme zum Faktor eines umfassenderen und global erkennbaren politischen Wandels hin zur Entwicklungshilfe.

1982 eröffnete die Schule der Freundschaft in der südlich von Magdeburg gelegenen Kleinstadt Staßfurt. Die Lehrenden stammten aus der DDR und aus Mosambik, die 900 Schüler*innen waren ausschließlich mosambikanische Kinder. Die meisten von ihnen blieben mindestens sechs Jahre im Land und gingen dort zur Schule. Ihr Alltag war geprägt von einer strikten Routine des Lernens und der organisierten Freizeitgestaltung. Kontakt zur Familie in der Heimat gab es quasi nicht. Unter der Woche nächtigten die Schüler*innen in den Schlafsälen des Internats, an den Wochenenden waren sie bei Gastfamilien untergebracht. Privatsphäre war für die meisten von ihnen ein Fremdwort. Zwar entstanden in jenen Jahren einige dauerhafte Freundschaften, doch viele erinnern sich auch an die unüberwindliche Kluft, die zwischen ihnen und gleichaltrigen Deutschen in Staßfurt bestand. Tatsächlich kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen und Konflikten im Nachtleben der Stadt – ein Fall endete sogar tödlich: Ausdruck eines brutalen Zusammenwirkens von Rassismus, Fremdenhass und der Objektivierung/Okkupation feminisierter Körper. Das hier gezeigte Material enthält den Mitschnitt eines Gesprächs, das die Forscherin und Künstlerin Aghi mit Victor Celestino Muapula, Yolanda Tembe und Francisca Raposo über ihr Leben und ihre Erfahrungen geführt hat. Die ehemaligen Schüler*innen der Schule der Freundschaft präsentieren Auszüge aus privaten Archiven und Chroniken ihrer Zeit in der DDR. Sowohl Mosambik als auch Vietnam wollten das von den Schüler*innen und Studierenden in der Ferne erworbene Wissen für ihre Länder nutzbar machen. Das ließ sich jedoch nicht ohne Weiteres realisieren. Die Mehrheit der Absolvent*innen der Schule der Freundschaft sah für sich in der vom Bürgerkrieg zerrütteten Heimat keine Perspektive und fühlte sich zugleich von dem Land, in dem sie ihre entfremdete, einsame Jugend verbracht hatte, aufgegeben und verlassen. Ab 1987 besuchten auch Kinder von SWAPO-Kämpfenden aus Namibia die Schule der Freundschaft. Im Gegensatz zu den nach Mosambik und Vietnam Zurückkehrenden fiel den Namibier*innen nach Jahren in der DDR die Versöhnung mit den Eltern schwer. Sie waren ihnen fremd geworden. Viele Rückkehrende wurden in den 1990er Jahren in den Familien der Nachfahren der deutschen Kolonialsiedler*innen in Namibia aufgenommen.

In den Jahren der (ost-)deutsch-vietnamesischen Austauschprogramme bemühte man sich intensiv um eine Anpassung der Curricula an den gesellschaftlichen Kontext im Land. Einige der damals ergriffenen Initiativen existieren noch heute, nicht zuletzt Le Huy Vans Projekte an der Universität für Industriedesign in Hanoi. Dieses – bis in die Gegenwart wirkende – Vermächtnis unterstreicht die Relevanz und Bedeutung jener sozial ausgerichteten Programme für die Bildungslandschaft unserer Zeit.