Die Zeit um Carla Filipes Geburt war von Demokratisierungsbewegungen geprägt – das Ende des autoritären Estado-Novo-Regimes in Portugal 1974 war absehbar. In ihrem Werk, das die Turbulenzen dieser Ära widerspiegelt, nutzt die Künstlerin Formen der politischen Kommunikation wie Protestbilder, Flugblätter und Plakate sowie biografisches Material und Fotografien. Diese Materialien fügt sie zu architektonisch anmutenden, häufig gedruckten Collagen zusammen, um Gegenarchive entstehen zu lassen, die vorherrschende historische Narrative teils ergänzen, teils kontrastieren. In Gesprächen, Recherchen und Beobachtungen sammelt und dokumentiert Filipe die Spuren individueller und kollektiver Erzählungen und hinterfragt dabei kritisch die überkommenen Perspektiven auf Vergangenheit und Gegenwart.

Als Fortsetzung von As primas da Bulgária (Part I) [Die Cousinen aus Bulgarien] (2014), thematisiert Students in socialist countries (Part II) die Kluft zwischen ‚offizieller‘ und ‚inoffizieller‘ Geschichtsschreibung anhand von persönlichen Geschichten und Zegnissen. Die Arbeit versteht sich als langfristiges Forschungsprojekt, für das Filipe seit 2011 Archivmaterial sammelt und aufbereitet, um die Folgewirkungen der Nelkenrevolution von 1974 zu dokumentieren. Dieser zentrale Moment der portugiesischen Demokratisierung war mit den Unabhängigkeitsbewegungen einer Reihe ehemaliger portugiesischer Kolonien verflochten – unter anderem Portugiesisch-Guinea, Kap Verde, Mosambik, Sao Tomé e Principe und Angola in Afrika sowie mit der zunächst kurzlebigen Unabhängigkeit von Osttimor. Diesen oft übersehenen Abschnitt der portugiesischen Geschichte rekonstruiert die Arbeit durch persönliche Zeugnisse und Erinnerungen von Student*innen, die damals auf der Suche nach einer besseren Welt in sozialistische Länder ausgewandert waren. Für Echos der Bruderländer hat die Künstlerin sie um Geschichten aus Kuba ergänzt und den portugiesischen Internationalismus mit Erfahrungen in der DDR und den ‚Bruderländern‘ in Dialog gesetzt.

In Auftrag gegeben vom Haus der Kulturen der Welt (HKW), produziert von Carla Filipe und HKW, 2023–2024. Die Künstlerin möchte sich bei der Druckerei MESCLA bedanken.

Werk in der AusstellungStudents in socialist countries (Part II) (2024), Linolschnitt, Offset-Siebdruck, Wandgemälde, variable Maße. Courtesy Carla Filipe