Die tatarische Künstlerin und Wissenschaftlerin Yäniyä Mikhalina beschäftigt sich damit, wie unterschiedliche psychische und politische Dimensionen Wirklichkeit erzeugen, darstellen und verzerren. Dazu verknüpft sie historische und gegenwärtige Fallstudien, in denen Fragen zu Kolonialität, Geschlecht, seelischer Gesundheit, Klassenzugehörigkeit und Sprache verhandelt werden. In ihrer Videoinstallation untersucht die Künstlerin aus psychoanalytischer Perspektive die historischen, linguistischen, phantasmagorischen und persönlichen Narrative rund um den Namen Söembikä. Diesen Namen trug die letzte Regentin des Kasan-Khanats – eine nationale Widerstandsfigur Tatarstans. Der Legende zufolge sprang sie von einem Turm in den Tod, um einer erzwungenen Heirat mit dem Moskauer Zaren Iwan dem Schrecklichen zu entkommen, nachdem dieser ihr Königreich erobert und ihr Volk zwangschristianisiert hatte. Mikhalina hat die Stimmen von sechs Frauen unterschiedlichen Alters – alle mit dem Namen Söembikä – aufgezeichnet, die auf Tatarisch ein historisches Lied über ihre legendäre Namenspatronin singen. Mit unterschiedlichen Kenntnissen ihrer Heimatsprache werden ihre Akzente zu einem wichtigen Aspekt der Performance. Das zweite Video bezieht sich auf den Mythos von Söembikäs letzter Tat: Von dem Turm, der nach ihr benannt ist, fällt ein Kleid herab. In ihrem Werk geht es Mikhalina weniger um historische Authentizität oder darum, eine Vielzahl an Interpretationen dieser Erzählung zu inszenieren. Stattdessen fasziniert sie das historische Unbewusste, das nicht an sich oder aus sich heraus existiert, sondern sich in jeder einzelnen Beschäftigung mit der Erzählung von Söembikä entfaltet.

Werk in der AusstellungThe Voice of Söembikä (2022), 2-Kanal-Videoinstallation. Courtesy Yäniyä Mikhalina