Jaanus Samma geht der Frage nach, wie in Machtdiskursen moralische Konventionen und Konzepte nationaler Authentizität konstruiert werden. An der Schnittstelle von Geschichte, Ethnografie und Museologie queert er nationales Erbe und verortet die Vergangenheit in alternativen Kontexten, um Vorstellungen von Identitätsbildung zu erweitern. In Riga Postcards sieht Samma die lettische Hauptstadt als utopisches Ferienziel für schwule Männer. Die Installation zeigt einen Messestand aus den 1970er bis 80er Jahren, der Riga als verführerische Kulisse für schwulen Tourismus bewirbt. Das Projekt ist eine Zusammenarbeit zwischen dem Künstler und der lettischen Historikerin Ineta Lipša, die anhand von detaillierten Beschreibungen in den privaten Tagebüchern von Kaspars Irbe (1906–96) einen Eindruck von Rigas queerer Subkultur jener Zeit vermittelt. Irbe erzählt akribisch von dieser verborgenen Welt, einschließlich der sexuellen Vergnügungsorte in den Straßen, Parks und Toiletten der Rigaer Altstadt und am Jūrmala-Strand. Eindrücklich berichten die Tagebücher von den Erfahrungen queerer Besucher*innen aus den Nachbarländern Estland, Litauen, Ukraine und Russland, die Riga mit dem Versprechen der Anonymität anzog.

Werk in der Ausstellung: Riga Postcards (2020), Installation Siebdruck auf Seide, Metallrahmen, Blumen. Courtesy Jaanus Samma und Temnikova & Kasela Gallery