Nobody Knows for Certain ist der erste von zwei Teilen eines Point-and-Click-Videospiels. Es beruht auf einem Rechercheprojekt der Künstlerin, in dem sie den kulturellen Austausch zwischen der UdSSR und Südasien während des Kalten Krieges erkundete. Jahrzehnte der intensiven sowjetischen Diplomatie in der Region haben zur Bildung eines riesigen imaginären Kulturraums südasiatischer und sowjetischer Völker geführt, der sich „von der Wolga bis zum Ganges“ erstreckt – um den Titel der historisch-fiktionalen Kurzgeschichtensammlung von Rahul Sankrityayan zu Übernehmen. In einem fantasievollen Patchwork spürt Nobody Knows for Certain dem Phänomen der sowjetischen Kinderbücher nach, die in zahlreiche südasiatische Sprachen übersetzt wurden. Vor der russischen Invasion in die Ukraine konzipiert, zeigt sich das Spiel nichtsdestotrotz misstrauisch gegenüber der leicht als Waffe einsetzbaren soft power kultureller Propaganda. Es beschwört eine Welt herauf, in der das Erzählen von Geschichten zugleich spielerisch und gefährlich ist – ein Ort der Kontrolle und deren Subversion. Das Spiel lässt sich als Multiversum miteinander verbundener Geschichten und Spekulationen lesen. Es basiert auf Archivmaterial, fungiert aber zugleich als eine Art Container, bestückt mit Kinderbüchern, deren Illustrationen und den damit assoziierten Welten. Manche dieser Welten existierten nebeneinander, oft trotz der repressiven Pseudo-Einheit, wie sie das Russische Reich und die UdSSR vorgaben. Zu den Texten gehören neu veröffentlichte Märchen und Kurzgeschichten aus Armenien, der Ukraine und Litauen sowie aus den Indigenen Gebieten der Sámi und Hezhen. Shafiq lässt Raum für Skepsis gegenüber der Sowjetophilie und unterläuft die Ikonografie, die aus der kommunistischen Propaganda sowie der künstlerischen Sprache der vorsowjetischen und frühen sowjetischen Avantgarden bekannt ist: Sie setzt Bildwelten in neue Kontexte und erkundet andere Ästhetiken, die die Kinderbuchillustrationen beeinflusst haben – wie Lubok-Drucke, Lack-Miniaturen, Textilien und dekorative Kunst.

Werk in der Ausstellung: Nobody Knows for Certain (2023), interaktive Multimedia-Installation, variable Maße. Courtesy Afrah Shafiq