Ziele

  1. Darstellung der vordiasporischen Geschichte des Quilombo als afrikanischer Institution angolanischen Ursprungs
     
  2. Beschreibung der verschiedenen Bedeutungen, die dieser Institution im kolonialen und imperialen Brasilien zukamen
     
  3. Darstellung der Entwicklung des Quilombo von einer Institution hin zum Leitbild für ideologische Prinzipien, die eine Form des kulturellen Widerstands begründen
     
  4. Historisierung dieser Ideologie im Kontext der Bewegung des Schwarzen Selbstbewusstseins und der brasilianischen Gesellschaft des 20. Jahrhunderts

 

Einleitung

Die westliche Welt konstruierte ein Bild von Afrika als einem isolierten und sonderbaren Kontinent, dessen Geschichte erst mit der Ankunft der Europäer*innen begann. Die Geschichte der Schwarzen Menschen – und des Gebietes, dem sie entstammen – findet nur dann Erwähnung, wenn sie von bedeutenden Ereignissen in der Geschichte der westlichen Zivilisation geprägt ist. Wenn brasilianische Historiker*innen diesem Vorbild folgen, laufen sie Gefahr, einen Bruch in der Identität der Schwarzen Menschen und ihrer Nachfahr*innen zu verursachen, sowohl was deren afrikanische Vergangenheit betrifft als auch deren historische Rolle in den Ländern, in die sie im Zuge des Handels mit versklavten Menschen verschleppt wurden.

Der Schwarze Widerstand nahm im langen und harten Kampf um die Bewahrung einer persönlichen und historischen Identität vielfältige Formen an. In Brasilien können wir zahlreiche Bewegungen aufführen, die im „häuslichen“ oder gesellschaftlichen Kontext umso faszinierender erscheinen, je intensiver wir auf ihre facettenreichen linguistischen, religiösen, künstlerischen, sozialen, politischen Erscheinungsformen sowie ihre Bräuche und Gesten eingehen. Wir wollen uns hier allerdings nicht weiter zu der Vielfalt dieser Ausdrucksformen äußern, sondern uns an dieser Stelle nur einer einzigen sozialen und politischen Bewegung widmen: dem Quilombo (Kilombo), der in der Geschichte unseres Volkes einen Meilenstein der Widerstands- und Organisationsfähigkeit darstellt. Die Gesamtheit dieser Widerstandsformen können als die Geschichte der Schwarzen Menschen Brasiliens verstanden werden.

 

Der Quilombo als afrikanische Institution

Zweierlei Gründe bewegten die Portugies*innen – im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern – in den afrikanischen Kontinent einzudringen und in Angola eine Kolonie zu errichten. Erstens wollten sie das in Brasilien erprobte Modell wiederholen, das heißt sich Land aneignen, um sich wie in der amerikanischen Kolonie eine gefestigte Position zu verschaffen. Zweitens hofften sie, dort wertvolle Mineralien zu finden, was allerdings erfolglos blieb.

Schon im 15. Jahrhundert entdeckten die Europäer*innen, dass der Handel mit versklavten Menschen den größten Reichtum verhieß. Brasilien entwickelte sich im Laufe des 16. Jahrhunderts zum Hauptempfänger dieser „Ware“. Die erhöhte Nachfrage führte dazu, dass die Portugies*innen ihren Vorstoß ins Innere des Kontinents weiter intensivierten. Dabei wurden sie zumeist durch den kongolesischen König unterstützt, der die portugiesischen Angriffe koordinierte.

Das beliebteste „Jagdrevier“ war das Gebiet der Mbundu, einer ethnischen Gruppe im Süden Angolas.[1] Im 17. Jahrhundert stellten die Portugies*innen endgültig fest, dass der Menschenhandel den Kolonialinteressen nützlicher war als jede andere Aktivität. Dabei erwiesen sich drei Methoden als besonders wirksam: Die erste bestand darin, Händler einzusetzen, welche versklavte Menschen auf den Märkten entlegenerer Völker erstanden, die in den kongolesischen und angolanischen Grenzregionen ansässig waren. Die nahe des Stanleypools[2] ansässigen Mbundu bezeichneten diese Händler bekanntlich als pombeiros. Bei der zweiten Methode wurden von den besiegten Mbundu-Anführern junge versklavte Erwachsene als Tribut gefordert, die man peças da Índia (Stücke aus Indien) nannte. Die dritte Methode war die direkte Kriegsführung. Die portugiesischen Gouverneure bevorzugten diese, auch weil einige von ihnen auf Nachschub an Versklavten für ihre Ländereien in Brasilien angewiesen waren.

Beim Eindringen in den afrikanischen Kontinent trafen die Europäer*innen auf unterschiedliche Gesellschaften, die insofern an einem Wendepunkt standen, als sie im Begriff waren, sich in einigen Regionen zu Staaten zu organisieren. Diese Entwicklung, die sich etwa im Königreich Kongo abzeichnete, stand im Widerspruch zu einigen traditionellen Strukturen wie zum Beispiel der auf Abstammungsprinzipien basierenden Produktionsweise, die auch die Mbundu praktizierten.

David Birmingham hat ausführlich dargelegt, welche Konflikte in den Bantu-Gesellschaften in Zentralwestafrika zur Zeit der portugiesischen Vorstöße herrschten.[3] Verschiedene Ethnien stießen aufeinander, wechselten sich in ihrer Herrschaft über die Gebiete ab und passten sich dabei mal dem Kolonialregime an, mal leisteten sie Widerstand gegen dessen Vordringen. Darunter waren die Imbangala, auch als Jagas bekannt. Dieses Volk von Jäger*innen und Sammler*innen drang 1560 aus dem Osten in das Königreich Kongo vor, verbannte 1569 den König und die Portugies*innen aus der Hauptstadt und zwang sie zum Rückzug auf eine Flussinsel. Von 1571 bis 1574 drängten die nun mit Schusswaffen ausgestatteten europäischen Armeen dieses wehrhafte Volk wieder zurück.

Zehn Jahre später kämpften die Imbangala neben den Mbundu gegen das Eindringen der Portugies*innen in das Mbundu-Territorium. Vorausgegangen war diesem Konflikt ein heftiger Kampf zwischen Ngola, dem Anführer der Mbundu, und Kingui, dem Anführer der Imbangala.

Die Angola beherrschenden Imbangala galten als furchteinflößendes Volk, das ausschließlich von der Plünderei lebte, kein Vieh züchtete und nicht einmal Landwirtschaft betrieb. Im Gegensatz zu anderen Volksgruppen zogen sie keine Kinder auf, um ihre nomadische Lebensweise nicht zu beeinträchtigen. Sie töteten sie nach der Geburt und adoptierten die Jugendlichen besiegter Stämme. Sie waren Anthropophagen, und in ihrer Kultur hatten Schmuck, Tätowierungen und Palmwein eine besondere Bedeutung.

Die nomadische Lebensweise der Imbangala und die Besonderheiten ihrer sozialen Strukturen prägten auch die Institution des Kilombo. Die kriegerische Gesellschaft der Imbangala stand allen Fremden offen, sofern sie initiiert worden waren. Die Initiation ersetzte somit die abstammungsbasierten Übergangsrituale. Da sie nicht mit ihren eigenen Kindern lebten, sondern die der Gruppen adoptieren, mit denen sie in Kontakt kamen, spielten die Imbangala eine wichtige Rolle für diese Epoche der Geschichte Angolas, sei es durch ihren Widerstand gegen die Portugies*innen oder durch ihre Kontrolle großer Gebiete, aus denen die Versklavten bezogen wurden. Der Kilombo destabilisierte das Abstammungssystem und stellte den bestehenden Institutionen Angolas ein neue Machtstruktur der Zentralität gegenüber.

Das Imbangala-Initiationsritual beruhte auf der Praxis der Beschneidung und führte junge Menschen verschiedener Abstammung in einer kriegerischen Gesellschaft zusammen. Hier gewann der Kilombo seine Bedeutung als Institution. In ihrer Integration in die Gesellschaft der Imbangala wurden die Individuen selbst zum Kilombo.

Des Weiteren bezeichnete Kilombo das Territorium oder das Kriegsfeld. Ebenso stand der Begriff für den Ort, das heilige Haus, in dem das Initiationsritual stattfand.

Wenn sich manchmal Imbangala am Handel mit versklavten Menschen der Portugies*innen beteiligten, wurden auch die Lager flüchtiger Versklavter Kilombo genannt. Später im 19. Jahrhundert wurden außerdem Handelskarawanen in Angola so bezeichnet.

Angesichts der Wechselbeziehungen, die sich infolge des Handels mit Versklavten zwischen Brasilien und Angola ergaben, liegt es nahe, die Geschichte dieser Institution in Afrika (beziehungsweise Angola) und in Brasilien miteinander zu verknüpfen. Die Schwierigkeit besteht darin, direkte Verbindungslinien herzustellen, etwa in Hinblick darauf, ob in Brasilien gegründete Quilombos territoriale oder ethnische Ursprünge in Angola hatten, ob die Mitglieder brasilianischer Quilombos von Mitgliedern afrikanischer Quilombos abstammten, oder ob die Kämpfe brasilianischer Quilombos in unmittelbarer Beziehung zu Konflikten auf der anderen Seite des Atlantiks standen.

 

Der Quilombo als Institution im kolonialen und imperialen Brasilien

Der Begriff Quilombo erscheint erstmals 1559 in einem offiziellen portugiesischen Dokument, ohne jedoch klar definiert zu werden. Erst als die portugiesischen Autoritäten beunruhigt darüber waren, dass nach den Kriegen im 17. Jahrhundert wieder zunehmend mehr Gruppen Schwarzer Menschen im Nordosten Brasiliens unabhängig von der kolonialen Herrschaft lebten, hielten sie in einem Dokument vom 2. Dezember 1740 ihre eigene Definition für Quilombo fest: „Jede Wohnstätte flüchtiger Schwarzer mit mehr als fünf Bewohner*innen, auch wenn noch kaum Viehhaltung, Anbau, noch Werkzeuge vorzufinden sind.“

Zur Klarstellung: Bei den erwähnten Kriegen handelt es sich um die Zerstörung des Quilombo von Palmares und die Unruhewellen, die sich rund um dieses Zentrum ergaben.

Unter den ersten brasilianischen Quilombos im 17. Jahrhundert sticht Palmares deutlich hervor. Historische Quellen aus der Zeit belegen, dass die Häufung derartiger Strukturen in direktem Zusammenhang mit der Auflösung dieses großen Staates steht, der eine einzigartige Rolle in der Geschichte Brasiliens spielt.

Diese zeitliche Übereinstimmung deutet darauf hin, dass sich der Quilombo von Palmares parallel zu Ereignissen entwickelte, die sich gegen Ende des 16. und Beginn des 17. Jahrhunderts in Angola abspielten. Womöglich ist Palmares sogar der einzige Quilombo, der direkte Verbindungen zur afrikanischen Institution des Kilombo erkennen lässt. Der Höhepunkt des Jaga-Widerstands ereignete sich zwischen 1584 und der Mitte des 17. Jahrhunderts, woraufhin sich diese ethnische Gruppe den portugiesischen Plänen zum Handel mit versklavten Menschen anschloss. Zeitgleich entstand Angola-Janga in Brasilien, das dort als Quilombo dos Palmares bekannt war.

Einige weitere Bezüge zu Angola sind erkennbar. So nannte sich etwa der afrikanische Anführer von Palmares Ganga Zumba. Denselben, nur leicht abgewandelten Titel, trug der König der Imbangala: Jaga. Auch der von einem anonymen Chronisten beschriebene Kopfschmuck, den der König von Palmares bei den Verhandlungen über den Waffenstillstand in Recife trug, ähnelt dem des Imbangala-Königs Calando, der als Zeichen seiner Macht sein Haar zu langen, mit Muscheln verzierten Zöpfen geflochten hatte. Darüber hinaus gibt es Ähnlichkeiten in der Kriegsführung, bei der mögliche Feinde von mehreren Fronten angegriffen bzw. horizontal destabilisiert wurden, sowie Parallelen im Aufbau einer neuen, zentralisierten Machtstruktur, um sich dem kolonialen Regime entgegenzustellen. Und schließlich wäre da der Doppelname der brasilianischen Institution: Angola-Janga.

Fraglos ist, dass der dem kolonialen Territorium verliehene Name Angola sich vom Mbundu-König N’gola ableitete, der ihn auf mehrere seiner Nachkommen und Nachfolger*innen übertrug. Möglicherweise gelangten die Nachkommen dieser afrikanischen Dynastie über den Handel mit versklavten Menschen nach Brasilien und wurden in Palmares zu Anführer*innen der Widerstandsbewegung. Der zweite Teil des Namens, Janga – eine Variation von Jaga –, legt nahe, dass beide Abstammungslinien in der Führung des Quilombo von Palmares vertreten waren. Somit standen beide in Verbindung zu Mbundu-Gebieten in Angola.

Diese Beobachtungen rund um den brasilianischen Quilombo deuten darauf hin, dass zwischen Brasilien und Angola damals noch enge Wechselwirkungen bestanden haben könnten. Spätere Quilombos distanzierten sich zunehmend vom afrikanischen Modell und entwickelten sich gemäß ihrer Bedürfnisse im brasilianischen Territorium. Es bedarf noch weiterer historiografischer Bemühungen, um die Strukturen und die historische Entwicklung der brasilianischen Quilombos besser zu verstehen. Denn allgemein wird der Quilombo weiterhin oft als statische Struktur dargestellt, die für historisch unveränderliche Dörfer afrikanischer Prägung steht, in die sich Schwarze zurückgezogen hätten, um „ihren banzo auszuleben“[4].

Im Laufe der brasilianischen Kolonialgeschichte waren Quilombos durch den Aufbau großer Siedlungen gekennzeichnet, zum Beispiel die Comarca do Rio das Mortes in Minas Gerais, die 1750 aufgelöst wurde. Wie Palmares orientierte sich auch dieser Quilombo an den strukturellen und wirtschaftlichen Gegebenheiten brasilianischer „Wirtschaftszyklen“: von der Zuckerwirtschaft in Pernambuco bis zum Goldbergbau in Minas Gerais.

So gesehen lassen sich die Quilombos als alternative Gesellschaftssysteme verstehen oder, wie Ciro Flamarion Cardoso es ausdrückt, als Ausbrüche aus dem Herrschaftssystem der Versklavung.

Ein wichtiger und relativ kontrovers diskutierter Aspekt ist die Frage, welche Position diese großen Systeme gegenüber der Versklavung vertraten. Dabei muss betont werden, dass Afrikaner*innen ebenso wenig dem Stereotyp der edlen Wilden entsprechen wie der afrikanische Kontinent dem eines exotischen Paradieses.

Die Institution der Versklavung war in Afrika seit der Antike bekannt und wurde dort auch praktiziert. Allerdings lag ihr nicht jene eigentumsrechtliche Dimension zugrunde, die bezeichnend für die koloniale Versklavung ist. Viele verschiedene Faktoren konnten früher eine freie Person versklaven: Kriege mit benachbarten Staaten während politisch instabiler Zeiten; als Kind einer versklavten Frau geboren und nicht befreit zu werden; Strafen für Verstöße gegen die Normen einer Gruppe; oder auch Bedrohungen durch die eigene Gruppe, die Individuen dazu bewogen, als sogenannte freiwillig Versklavte Schutz bei anderen Gruppen zu suchen.

Da sich die Institution des Quilombo aus Menschen zusammensetzte, die der kolonialen Versklavung entkommen oder von ihr bedroht waren und deren Beziehungen durch diese besonderen Umstände geprägt waren, kann es gut sein, dass sich auch brasilianische Quilombos dieser traditionell bekannten Mechanismen bedienten und intern der Praxis der Versklavung nachgingen.

Angesichts der zeitlichen und räumlichen Überschneidungen mit dem System der Versklavung ist zudem keineswegs ausgeschlossen, dass der Handel mit versklavten Menschen mitunter auch eine wirtschaftliche Rolle für die großen Quilombos gespielt haben könnte. Dafür spricht etwa, dass Ganga Zumba zustimmte, diejenigen Palmarinos, die dem Friedensabkommen von Recife nicht Folge leisten wollten, versklaven zu lassen.

Ebenso muss bedacht werden, dass sich Personen, die durch das koloniale Regime versklavt worden waren, den Quilombos nicht selten als freiwillig Versklavte anschlossen. Dass diese Praxis auch in Afrika gängig war, macht dies nachvollziehbarer.

Die Quilombos des 17. Jahrhunderts zeichneten sich nicht zuletzt dadurch aus, dass sich in ihnen Gruppen und Ethnien innerhalb eines bestimmten Territoriums zu einer Wirtschaftseinheit zusammenschließen konnten, weshalb sie auch eine Bedrohung für das Kolonialsystem darstellten. Man kann sogar behaupten, dass sich Brasilien mit der Entstehung dieser großen Quilombos überhaupt erst als zentralisierter Staat definierte.

Nach der Auflösung der Quilombos von Tijuco und Comarca do Rio das Mortes im 18. Jahrhundert erlebte die Institution einen Wandel, der durch ein verändertes geografisches Gebiet, die gegen sie gerichtete koloniale Repression und ihre ethnische Vielfalt bedingt war. Letztere gewann durch die Praxis des Handels mit versklavten Menschen, dabei verschiedene ethnische Gruppen zu vermischen, immer mehr an Bedeutung.

Im 19. Jahrhundert verbreiteten sich Quilombos im gesamten Territorium der Kapitanate. Sie unterschieden sich insofern von denen des 18. Jahrhunderts, als sie einzeln keine Gefahr für das System darstellten. Sowohl im 18. als auch im 19. Jahrhundert verkörperte diese Institution einen Riss im System – auch wenn sie oft friedlich mit ihm koexistierte, ist sie aus globaler Sicht bzw. im größeren territorialen und historischen Kontext betrachtet Ausdruck der inhärenten Brüchigkeit des Versklavungssystems.

Als sich die wirtschaftlichen Aktivitäten in den verschiedenen Regionen verlagerten, lockerte sich oft das Band zwischen Versklavten und Herr*innen. Diese Schwäche im kolonialen Gefüge führte zu einer zunehmenden Zahl entflohener versklavter Menschen, die zum integralen Bestandteil des Quilombo wurden. Raub, Plünderungen und Banditentum wiederum wurden zentral für das Überleben dieser Ansammlungen von Entflohenen.

Im Strafgesetzbuch von 1835 wurde der Quilombo folglich als Versteck für Kriminelle definiert und von anderen Widerstandsformen der Versklavten unterschieden. Für die Integrität des Imperiums war der Quilombo allerdings nicht weniger gefährlich als andere Widerstandsformen. So wurde die Zugehörigkeit zu einem Quilombo mit derselben Strafe geahndet wie die Teilnahme an einem Aufstand: mit Enthauptung.

Quilombos wurden damals der sogenannten Schwarzen Gefahr zugerechnet, einer Bewegung, die mit den Kriegen in Bahia und Maranhão ihren Namen erhielt. In diesem Kontext kam es oft zu polizeilichen Durchsuchungen auf Basis fadenscheiniger Anschuldigungen. Anderenorts formierten sich soziale Gruppen, die in den Quilombos intensive religiöse Praktiken entwickelten, wie zum Beispiel im Quilombo von Nossa Senhora dos Mares und Cabula in Salvador.

Historisch ebenso wichtig ist, dass sich große Quilombos an den Hügeln und Peripherien großer Stadtzentren bildeten, wie etwa im Fall von Catumbi, Corcovado und Manuel Congo im imperialen Rio de Janeiro. Viele dieser Quilombos organisierten sich entlang eines gemeinsamen ideologischen Rahmens: die Flucht als Reaktion auf den Kolonialismus. Dies geht aus schriftlichen Quellen sowie aus der mündlichen Tradition dieser Zeit hervor.

 

Der Quilombo als Leitbild für die Entwicklung ideologischer Prinzipien

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich der Quilombo zum ideologischen Werkzeug gegen diverse Formen der Unterdrückung. Er wurde zu einer legendären Institution, die zumeist über eine abolitionistische Rhetorik den Freiheitstraum tausender auf den Plantagen São Paulos versklavter Menschen inspirierte.

Diese Entwicklung hin zum Widerstandssymbol bewirkte einen erneuten Wandel des Quilombo. Emblematisch dafür ist die Entstehung des Quilombo von Jabaquara. Als von den Plantagen São Paulos entflohene Versklavte nach Santos migrierten, auf der Suche nach dem Quilombo, das ihnen von Anhänger*innen Antônio Bentos[5] versprochen wurde, fanden sie dort kein freies Territorium vor, in dem man afrikanischen kulturellen Praktiken nachging und gleichzeitig einen militärischen Widerstand gegen das Versklavungssystem aufbaute, sondern vielmehr eine große Favela.

Der Quilombo erscheint im 20. Jahrhundert weitgehend als ideologisches Konstrukt. Das Ende des alten Versklavungsregimes setzte auch dem Quilombo als widerständiger Institution gegen die Versklavung ein Ende. Da der Quilombo allerdings über drei Jahrhunderte tatsächlich als freie, parallel zum herrschenden System existierende Institution bestanden hatte, umgibt diese historische Organisation weiterhin eine Aura, die den Wunsch nach Freiheit im nationalen Bewusstsein nährt. Nach der ersten Woche der Modernen Kunst im Jahr 1922 in São Paulo veröffentlichte der brasilianische Verlag Editora Nacional drei Titel zu diesem Thema von den Autor*innen Nina Rodrigues (1932), Ernesto Enne (1938) und Edison Carneiro (1947).

Nennenswert sind auch die Werke von Artur Ramos und Guerreiro Ramos sowie der etwas früher erschienene Roman von Felício dos Santos.

In diesem Moment nationaler Selbstdefinition konzentrierte sich die intellektuelle Produktion stark auf das Phänomen des Quilombo und fand in ihm positive Aspekte zur Untermauerung einer brasilianischen historischen Identität. In anderen künstlerischen Werken kam die Erinnerung an den Quilombo im Wunsch nach einer Utopie zum Ausdruck. Diese Werke zeigten sich in unterschiedlichem Maße vertraut mit Theorien des populären Widerstands, die mitunter auch in Texte von Sambaliedern eingingen. Bis 1964 war oft auch in Schulbüchern ein offizielles historisches Narrativ des Quilombo zu finden. Diese ideologische Rolle erfüllte der Quilombo bis in die 1970er Jahre. Er lieferte das Material für eine partizipative Fiktion, wie zum Beispiel im Musical Arena Conta Zumbi[6]. Diese sollte durch die Assoziation mit dem populären Widerstand gegen Unterdrückung den brasilianischen Nationalgedanken stärken. Das Territorium von Palmares stand dabei auf positive Weise für den Wunsch nach einem gerechteren Brasilien der Freiheit, Einigkeit und Chancengleichheit.

Hierbei darf auch das heroische Moment nicht unerwähnt bleiben, das eng mit der Geschichte des Quilombo verknüpft ist. Erwartungsgemäß verkörpert vor allem die Figur des Zumbi diesen Heroismus. Wie kaum ein anderes Element entwickelte sich das Bild dieses Anführers in jener Zeit zunehmend zum Inbegriff eines neuen nationalen Geistes.

Zwischen 1888 und 1970 konnten Schwarze Menschen in Brasilien ihrer Stimme im Kampf um Anerkennung und soziale Teilhabe nur sehr selten Gehör verschaffen. Umso bemerkenswerter scheint es, dass dies gerade in den 1970er Jahren öfter gelang, als die Meinungs- und Versammlungsfreiheit sehr eingeschränkt wurden.

Dass Schwarze Menschen stark unterdrückt wurden und keine direkte Gefahr für die herrschenden Institutionen darstellten, mag ein Grund dafür sein, dass sie eine soziale Bewegung ins Leben rufen konnten, die auf den Prinzipien der Selbstbejahung und der Rückeroberung ihrer kulturellen Identität aufbaute.

Die Rhetorik rund um den Quilombo und die Auseinandersetzung mit ihm als alternativem System waren wesentliche Leitbilder für diese Bewegung. Wir bezeichnen dies als Revision der nationalen Identität. Da sie weder über umfassende Staatsbürger*innenrechte noch über wirkungsvolle Wege verfügte, um politische Forderungen zu stellen, und da das populäre brasilianische Bewusstsein schwach ausgeprägt war, stand diese Bewegung dem Nationalen ablehnend gegenüber und identifizierte sich vielmehr mit einer heroischen Vergangenheit.

Ebenso wie er sich in der Vergangenheit als Reaktion auf einen tatsächlich existierenden Kolonialismus entwickelte, erschien der Quilombo in den 1970er Jahren also in Form eines Codes, der auf den kulturellen Kolonialismus reagierte: Er bejahte aufs Neue das afrikanische Erbe und suchte nach einem brasilianischen Modell, das imstande wäre, die ethnische Identität zu bestärken.

Die Literatur und die mündliche Tradition rund um den Quilombo trugen dazu bei, diese Bewegung voranzutreiben und stereotype historische Darstellungen des Quilombo zu revidieren.

Am 20. April 1974 veröffentlichte die Gruppe Palmares do Rio Grande do Sul – zu der auch der Dichter Oliveira Silveira zählte – einen Artikel im Jornal do Brasil, in dem sie forderte, dass der 20. November im Gedenken an die Ermordung von Zumbi und den Fall von Palmares als nationaler Feiertag begangen werden sollte, statt dem 13. Mai. Die Gruppe argumentierte, dass die Erinnerung an ein Ereignis, das in jeder Hinsicht Ausdruck der Widerstandsfähigkeit der Schwarzen Ahn*innen war, eine positivere Identifikation ermöglichen würde als die Abschaffung der Versklavung, die bis dahin als eine Art Gnadengeschenk des Versklavungsregimes und der Regentin des Kaiserreichs Brasiliens galt.

Der Vorschlag fand schnell Anklang, und es folgten weitere Recherchen über die Geschichte des Widerstands in Form von Kursen, Debatten, Studien und Filmen, die vermittelt über verschiedene Einrichtungen, Schulen, Universitäten und Medien den Freiheitswunsch junger Menschen inspirierten. Der Quilombo wurde gleichbedeutend mit dem Schwarzen Volk, zum Synonym für Schwarzes Handeln und zur Hoffnung auf eine bessere Gesellschaft. Er wurde zum wesentlichen Bezugspunkt sämtlicher Formen kulturellen Widerstands. Alles von politischen Haltungen bis hin zu Bündnissen war als Quilombo zu verstehen, sofern es das Ziel hatte, das Schwarze Erbe aufzuwerten. Heute hat der 20. November im nationalen Kalender seinen festen Platz als Tag des Schwarzen oder afrobrasilianischen Selbstbewusstseins.

 

Schlussbemerkungen

Diese kurze Studie versuchte, das Phänomen des Quilombo in seinem zeitlichen Rahmen darzustellen. Wir haben uns auch deshalb für einen deskriptiven Ansatz entschieden, weil offizielle Darstellungen dieses Phänomens dessen Vielseitigkeit weitgehend außer Acht lassen. Allerdings bedarf es auch einer analytischen Auseinandersetzung, die die Gründe beleuchtet, warum das Phänomen im kollektiven Schwarzen Unterbewussten und in der Arbeit brasilianischer Intellektueller fortbesteht.

Im Laufe seiner Entwicklung stand der Quilombo als Symbol für ethnischen und politischen Widerstand. Als Institution bewahrt er weiterhin die besonderen Eigenschaften des afrikanischen Modells. Als politische Praxis steht er für die Ideale der Emanzipation und Freiheit, die während nationaler Krisen stets ein Korrektiv gegen die Verzerrungen der herrschenden Kräfte bieten. Die Faszination für den Heroismus eines Volkes, das weitgehend als sanftmütig und fügsam dargestellt wird, bestärkt die Schwarze Gemeinschaft heutzutage darin, eine Kritik der sozialen Ungerechtigkeiten zu entwickeln, die ihr widerfahren.

Der Quilombo stellt daher ein mächtiges Instrument im Kampf um Anerkennung der Schwarzen Identität Brasiliens auf dem Weg zu einem stärkeren ethnischen und nationalen Selbstbewusstsein dar. Dass er einen tatsächlichen Ausbruch aus dem System der Unterdrückung der Schwarzen Menschen bedeutete, birgt die Hoffnung, dass die Institution des Quilombo neben anderen Strukturen, die unsere kulturelle Identität stärken, heute eine ähnliche Rolle spielen kann.

 

[1] Anm. d. Ü.: Das Stück von Gianfrancesco Guarnieri und Augusto Boal inszeniert den Kampf der Quilombolas von Palmares und wurde 1965 zum ersten Mal aufgeführt.

[2] Anm. d. Ü.: Antônio Bento (1843–1898) war ein weißer, bürgerlicher Abolitionist und in São Paulo ansässig. Als Anführer der Caifases organisierte er kollektive Ausbrüche und leitete die dabei aus der Versklavung befreiten Menschen zuerst nach Jabaquara in Santos und dann nach Ceará weiter.

[3] Anm. d. Ü.: Im Novo Diccionário Banto do Brasil wird banzo wie folgt definiert: (1) mitunter tödliche Nostalgie, die Schwarze in Brasilien versklavte Afrikaner*innen befiel. (2) traurig, niedergeschlagen, nachdenklich (3) überrascht, erstaunt, unangenehm, dumpf. Aus dem Kikongo mbanzu, Gedanke, Erinnerung; oder aus dem Kimbundu mbonzo Sehnsucht, Leidenschaft, Kummer. Siehe Nei Lopes:, Novo Dicionário Banto do Brasil, Pallas Rio de Janeiro 2003

[4] Anm. d. R.: Bantu ist ein großer ethnolinguistischer (und nicht nur ethnischer) Sammelbegriff, der eine Untergruppe der Niger-Kongo-Sprachen bezeichnet und zahlreiche Völker umfasst, die fast im gesamten Subsahara-Afrika ansässig sind (mit Ausnahme Namibias, Botswanas und Südafrikas). Diese Völker gingen aus einer langwierigen und konstanten Migrationsbewegung hervor, bei der in eine Richtung der Westen des Kontinents (bis zum Atlantik) besiedelt wurde und die im Osten bis zum Indischen Ozean reichte und sich von den großen Seen (u. a. dem Victoriasee) bis in den Süden des Kontinents zog.  Diese Völker teilen weitgehend den Glauben an die Lebensenergie oder vitale Kraft (muntu), die mit dem Ashé der Yoruba korreliert.

[5] Anm. d. R.: Die Mbundu sind eines von mehreren Völkern mit gemeinsamer Geschichte, Geografie und Kultur. In ihrem Gebiet fanden die Kolonisator*innen im 15. Jahrhundert Landwirtschaft, Metallverarbeitung (Eisen), Weberei und Handel vor, ebenso wie Verwandtschaftsbeziehungen und politische Führungsstrukturen, die Organisationsformen begründeten, die in der Forschung als Staaten bezeichnet werden.

[6] 2 Anm. d. Ü.: Heute Pool Malebo

 

Aus dem Portugiesischen von Charlotte Thießen

Dieser Text erschien erstmalig in Afrodiaspora 3, 6-7, 1985, S. 41–49

Die hier versammelten historischen Texte spiegeln aus heutiger Sicht mitunter problematische sprachliche Formen und Gewohnheiten der jeweiligen Zeit. Die Übersetzungen versuchen, sowohl den Stimmen der Originaldokumente als auch den Ansprüchen diskriminierungssensibler Sprache gerecht zu werden. Wenn dies an einigen Stellen nicht gelungen sein sollte, freut sich die Redaktion über Anregungen für die Zukunft.

 

Dieser Text ist veröffentlicht in O Quilombismo Reader, Haus der Kulturen der Welt (HKW) und Archive Books, Berlin, 2023.