meine Baustelle #1 - meine Diplomatie: Transkript des Vortrages von Joschka Fischer

Meine Diplomatie

Transkript des Vortrages von Joschka Fischer

Haus der Kulturen der Welt: „meine Diplomatie“ 21.10.2006


Meine Damen und Herren,


ich möchte Sie ganz persönlich recht herzlich willkommen heißen zu einem, wie ich finde, sehr spannenden Thema, das zur Kontroverse einlädt.

Die Frage, ob die von Ihnen angesprochenen Widersprüche zwischen Kulturen, die auch von hoher Tagesaktualität sind, durch die Diplomatie, ihre Instrumente, ihre Verfahren, ihre Akteure, besser zu lösen sind, als dieses durch den Dialog der Kulturen im Allgemeinen gilt, diese Frage wurde ja von Ihnen aufgeworfen.

Nun lassen Sie mich hier eine erste Antwort geben. Ob Diplomatie das leisten kann, habe ich meine berechtigten Zweifel und darüber werde ich einiges gleich ausführen. Schaden tut sie zumindest nicht, also kann man es probieren. Das ist eine sehr pragmatische Herangehensweise, aber ich meine, ansonsten wird es bedeuten, dass man Diplomatie überlastet.

Meinen beiden VorrednerInnen ist ja zueigen, dass sie das Prinzip des Dialogs, des Kulturdialogs, als etwas Positives dargestellt haben. Aus unserer Sicht ist das ohne jeden Zweifel richtig. Selbst das dialogische Prinzip selbst ist nicht frei von seiner westlichen Zentrierung. Und vor allen Dingen, wenn wir unsere eigene Geschichte des Westens anschauen, die Geschichte Europas, dann ist es ja keineswegs so, dass Dialog sozusagen genetisch oder anthropologisch vordefiniert wurde und wir ihn mitgebracht hätten in die europäische Kultur. Das Gegenteil ist vielmehr das Fall. Über eine lange, lange Zeit, seit der ersten europäischen Staatenbildung, ich glaube, sowohl die alten Römer als auch während der gesamten Zeit des Mittelalters, war das Konzept des Dialoges hier etwas Fremdes. Man ging dort eher von Prinzipien aus, die durchgesetzt wurden und die alle zu befolgen hatten. Wenn ich mich richtig entsinne, dann ist das Dialogprinzip verbunden mit der Herausbildung staatlicher Souveränität und zwar entstanden auf dem Hintergrund der großen Katastrophe der europäischen Religionskriege. Diese Religionskriege wurden ausgefochten um die richtige Überzeugung über den richtigen Glauben, über die richtige Wahrheit. Diese Religionskriege führten zu Beginn der Neuzeit zu zwei, für diese Diskussion relevanten Entwicklungen.


Sie endeten in der Erschöpfung nach furchtbaren Verheerungen und es war allen Beteiligten klar, dass die Frage, welches der richtige Glaube an den einen Gott ist, um den ging es hier in Europa, das dieses letztendlich auf dem Schlachtfeld nicht ausfechtbar war. Und das zum Zweiten die Konsequenz nach dem Trauma dieser Religionskriege sein musste, alle weltliche Macht an einem Punkt zu konzentrieren, und das war die Herausbildung der modernen europäischen Staaten, des Begriffs der Souveränität und des europäischen Staatensystems. D.h. das Konzept der Toleranz ist hier zumindest ideengeschichtlich und was die politische Geschichte anbetrifft, aufs Engste zuzuordnen der Herausbildung des modernen Staates, der über das Machtmonopol verfügt und dieses Machtmonopol dann auch mit aller Macht, und notfalls mit der gehörigen Brutalität durchzusetzen in der Lage ist. Es ist also etwas zutiefst Europäisches und was mich in der Gegenwart besorgt, ist, dass wir ganz offensichtlich aktuell wieder in einer Situation sind, in der die letzten Dinge mehr und mehr in die Politik hineinreichen, wo sie nicht hingehören, meines Erachtens, wo Konflikte religiös aufgeladen werden oder quasireligiös, wo wir in eine Konfrontationssituation geraten, von der ich meine, dass sie auch nicht mit den Mitteln der Diplomatie überwunden werden kann. Warum?


Die Diplomatie ist letztendlich, oder wenn man eine Definition versucht, eine erste Annäherung. Die Diplomatie regelt oder versucht den Verkehr zwischen souveränen Staaten zu regeln. Ein souveräner Staat ist die Konzentration aller Macht in einem bestimmten Territorium und in der Verfügung über dieses Territorium und seine Bevölkerung. Die Diplomatie regelt also den Verkehr zwischen Souveränen, die in der Theorie alle gleich sind, letzte weltliche Gewalt, die keine weitere höhere Instanz über sich haben, jenseits der Moral und auch des Glaubens. Aber sie sind keine originär weitere politische Instanz oder rechtliche Instanz, die über ihnen thront. Die Diplomatie, ihre Sprache, ihre Instrumentarien, ihre Verfahren, regelt den Verkehr zwischen diesen teilweise fiktionalisierten, teilweise realen Akteuren, nämlich den souveränen Staaten.

Der Kern der Definition dieser souveränen Staaten ist, dass sie über Interessen verfügen. D.h. ein soziales Großkollektiv, das alle seine Macht konzentriert hat in einem bestimmten Territorium, in einem Regel- und Institutionenwerk, das man heute Staat nennt. Dieses Geflecht von Regeln und Institutionen agiert durch Menschen aus Fleisch und Blut. Das sind die Diplomaten, das waren früher die Herrscher und die Höfe, heute sind es gewählte Politikerinnen und Politiker. Und dennoch: Sie bedienen sich der Umgangssprache, und dennoch sprechen sie nicht als Menschen aus Fleisch und Blut, sondern institutionell. Diese Differenz kommt vielen im Alltag als eine Sprache des Diffusen vor, als Seifenblasen, als etwas, das man schwer verstehen kann. Warum reden die so geschraubt? Nun, Papst Benedikt ist hier ja bereits angeführt worden. Ich meine, daran kann man sehr klar sehen, wo die entscheidenden Unterschiede liegen. Es war ein gelehrter Vortrag und ich finde es rührend, wenn ausgerechnet der Vatikan darauf hinweist, dass es ein gelehrter Vortrag war und zwar im Rahmen einer Universität, einer sehr ehrwürdigen Institution, aber der Papst spricht eben nicht mehr als gelehrter Theologe und Professor. Sonst würde er nicht dem Unfehlbarkeitsdogma in Glaubensfragen gemäß agieren können, sondern er spricht auch nach eigenem Selbstverständnis als Institution.

Es ist einerseits der Mensch, auf der anderen Seite die Institution, die spricht. Er spricht in derselben Sprache und hätte er sie als Vorsitzender der Glaubenskongregation der katholischen Kirche gehalten, ich glaube nicht, dass sie viel Aufsehen gemacht hätte. Als Oberhaupt der katholischen Kirche war die Lage allerdings eine völlig andere. Nun kann man gleich hinzufügen, es wurde diese Rede wie manch anderes instrumentell genutzt. Ja, das ist das Wesen, dass dort, wo Interessen sich widersprechen oder Interessen vorhanden sind, jede Äußerung genutzt werden kann und genutzt wird, entsprechend des eigenen Interesses.

Diplomatie gründet also, wenn sie wirken soll, vor allen Dingen auf den Wesensgehalt dieser Staatsdefinition, dieser Souveränitätsdefinition, nämlich den Interessen. Die Frage bleibt demnach, ob Diplomatie als Instrument in einem anderen Kontext taugen kann. Zur Lösung dieser Widersprüche, nämlich im Kontext der Kultur.

Haben unterschiedliche Kulturen Interessen? Ich würde es nicht verneinen. Aber sind die Interessen so im Zentrum der Definition einer Kultur, wie das für souveräne Staaten gilt? Ich meine nein. Kultur ist komplexer, die Interessen, die Definitionen von Kultur sind wesentlich komplexer als die von souveränen Staaten. Damit Sie mich nicht missverstehen, ich meine nicht, dass Diplomatie hier nicht positive Beiträge leisten kann. Nicht umsonst gibt es auch Kulturdiplomatie in den Beziehungen der Staaten der Kulturen, aber angesichts der Widersprüche, die Sie aufgeworfen haben und hinter allem, was ich heute gehört habe, steckt ja im Grunde genommen die Grundthese: Kommt es zu diesem clash of civilisations von Huntington? Oder gibt es eine Möglichkeit, die Beziehungen zwischen Kulturen in einer sich globalisierenden Welt anders zu regeln als auf diese konfrontative Art mit all ihren negativen Folgen?

Da meine ich, es heißt, das Instrument der Diplomatie zu überschätzen, die Schwere der Widersprüche, die in den VorrednerInnenbeiträgen hier aufgezeigt wurden, lösen zu können.


Gleichwohl, lassen Sie mich in einem zweiten Punkt darauf zu sprechen kommen, Diplomatie kann recht unterschiedlichen Zielsetzungen folgen. Es ist nicht so, dass Diplomatie immer dazu eingesetzt wird, um Konflikte zu vermeiden. Diplomatie, in der klassischen Definition, auch von Clausewitz in der klassischen Definition des Krieges in „Die Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln“, setzt ja voraus, dass Diplomatie bis zu dem Punkt führt, wo man das andere Mittel einsetzt, um nachher wieder übernehmen zu können. Das heißt aber nach Clausewitz, dass kein direkter Widerspruch zwischen Konflikten in Form des Krieges und der Diplomatie besteht. Ein kurzer Blick in die Geschichte macht dieses klar. Ich möchte gar nicht zu sehr in die Geschichte zurückgehen. Ich darf sie nur an die Funktion von Diplomatie eines bedeutenden Landes erinnern im Zusammenhang mit der Vorlaufphase zum Irakkrieg, wo es auf der einen Seite sicher den einen oder die andere gab, die versuchten, ernsthaft an einer diplomatischen Lösung zu arbeiten, andere aber davon überzeugt waren, dass eine diplomatische Lösung diese Ziele, die sie meinten, die unverzichtbar wären, nicht bringen könnten und deswegen Diplomatie eine andere Zuordnung erfahren hat. In der klassischen Zeit staatlicher Souveränität war diese Funktion, nämlich Diplomatie als Vorbereitung des nächsten Konflikts, als eine optimale Ausgangsposition, um gewinnen zu können, auf dem Schlachtfeld, in der Regel sogar die Hauptfunktion von Diplomatie.

Dies hat sich spätestes mit der Erfahrung des Ersten Weltkrieges Schritt für Schritt geändert. Ich bin nicht der Überzeugung, und es klang so an, als wenn ich der Meinung wäre, wir sollten in Multikulti- Seligkeit eine Welt der Kooperation uns erdenken. Nein, ich glaube vielmehr, dass die objektiven Faktoren, die das Staatensystem des 21. Jahrhunderts bestimmen werden, Kooperation erzwingen werden. Warum erzwingen? Ich sehe da im übrigen keinen Widerspruch zur einer Re-Archaisierung. Im Gegenteil. Erzwingen deshalb, weil sich die schlichte Frage stellt, wie werden sieben Milliarden Menschen und mehr gegen Mitte des Jahrhunderts eigentlich zusammenleben können auf diesem Globus? Wie werden diese sieben Milliarden, die alle nur noch einer Traumwelt nachhängen, die wir für uns zu wesentlichen Teilen realisiert haben, wie werden diese sieben Milliarden den selben Wohlstand, die selben Ausbildungschancen für die nächste Generation, die selben individuellen Verwirklichungsmöglichkeiten, den selben Lebensstandard und Energieverbrauch, wie werden die das eigentlich regeln? Gibt es hier realistischerweise, auch angesichts der technologischen Entwicklung und der waffentechnologischen Entwicklung, gibt es angesichts der ökologischen Konsequenzen dieser Entwicklung, tatsächlich noch die Option einer Re-Archaisierung? Anders gesagt: War es nicht vielmehr ein technologischer Sprung, der Übergang von konventionellen Waffen hin zu Nuklearwaffen, die im Grunde genommen die Clausewitzsche Gleichung aufgelöst hat? Nämlich dass Krieg, zumindest auf der Ebene der Nuklearmächte, eben nicht mehr die Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln sein kann und ist. Der nukleare Winter ist das Jenseits von Politik, und insofern gibt es da auch keine andere Beziehung mehr zur Diplomatie. Haben wir es heute nicht unter dem Gesichtspunkt nicht nur der Nuklearbewaffnung, sondern der gegenseitigen Interdependenzen, nicht mit noch einer viel massiveren Entwicklung zu tun, die im Grunde genommen ein Verlust von Souveränität bedeutet oder der Illusion von Souveränität, ganz wie Sie belieben.


Einerseits, werden wir uns tatsächlich unterschiedliche normative Systeme leisten können oder müssen wir nicht vielmehr vom Gleichheitsgrundsatz ausgehen, der real existiert, unbeschadet der jeweiligen kulturellen Ausprägung? Dieser Gleichheitsgrundsatz hat sich heute in den transnationalen Institutionen und Vertragswerken bereits realisiert. Jedes Mitglied der Vereinten Nationen unterzeichnet die Charta der Vereinten Nationen, die voll ist mit kulturell und historisch begründeten normativen Sätzen und einer Vielzahl auch von Konventionen. Den Gleichheitsgrundsatz in Frage zu stellen in einer Menschheit mit sieben Milliarden Menschen und mehr, das lassen Sie sich von einem Diplomaten sagen, das heißt ein Zerstörungspotential sehenden Auges in Kauf zu nehmen, was allen Ernstes, und das meine ich quer zu allen kulturellen Prägungen, niemand verantwortlich tun kann. Denn dies hieße, einen Herrschaftsanspruch an die Stelle des Gleichheitsgrundsatzes zu setzen und das unter den Bedingungen der Ansprüche dieser immer wachsenderen Größe von Menschheit, der Instrumente, die diese Menschheit hat, nicht nur der waffentechnologischen. Das hieße, meines Erachtens, eine Katastrophe sehenden Auges anzusteuern, so dass ich eher aus einem sehr nüchternen Realismus heraus zu der These komme, dass die Souveränität mehr und mehr, und auch die der mächtigsten Staaten, etwas ist, was nicht verschwinden wird, aber in sich transformiert wird, an Bedeutung verliert, und erstaunlicherweise gewinnt damit die Diplomatie an Bedeutung. Wir können es feststellen. Mit dem Verlust der Kriegsoption oder ihrer Einschränkung, mit der schrittweisen Transformation, die stattfindet, tritt mehr und mehr die zweite und eigentlich moderne Funktion von Diplomatie in den Vordergrund, nämlich eine Krise zu begrenzen und sie möglichst friedlich im gegenseitigem Interesse zu lösen.


Wenn Sie sich die Struktur der modernen Konflikte anschauen, dann werden Sie feststellen, dass diese Krisenmanagementfunktion, die in der Vergangenheit weit weniger eine Rolle gespielt hat, jetzt mehr und mehr in den Vordergrund tritt und damit reflektiert sie einen Verlust traditionell souveräner Funktionen. Weil man sich eigentlich die traditionelle Clausewitzsche Formel „Wenn es friedlich nicht geht und Du uns nicht folgst, dann kriegst Du halt eine... auf den Kopf.“ Die funktioniert so nicht mehr. Und sie funktioniert schon gar nicht, und da liegt das Wesen, in der Welt nach dem 11.9., weil zum ersten Mal sichtbar wurde, dass Globalisierung auch in der Sphäre der Macht im internationalen System keine Einbahnstraße ist.

Im Kalten Krieg, oder gar in den Zeiten davor, war die Vorstellung, dass es zu einem terroristischen Anschlag auf die mächtigste Macht der Erde kommt, mit einer Organisationsbasis in einem zusammengebrochenen Staat weit hinten im Hindukusch, eine relativ bizarre Vorstellung. Heute, und unter dem Gesichtpunkt ist die eine Welt Realität geworden, heute müssen wir feststellen, dass genau dieses der Fall war. Die Abhängigkeit, hätte man vor einigen wenigen Jahren noch gesagt, dass die USA, die nicht mächtigste, kapitalistische Wirtschaftsmacht, von den Entscheidungen der Zentralbank der Volksrepublik China und des Politbüros der Kommunistischen Partei der Volksrepublik China, in einem Maße abhängen werden, wie das heute der Fall ist und umgekehrt, hätte man gesagt: „Geh zum Arzt!“ Es ist aber heute Realität geworden. Und wenn Sie diese ganzen Entwicklungen extrapolieren, nach vorne in die Zukunft hinein verlängern, dann sage ich Ihnen, dann können wir noch so hohe Zäune bauen, die werden nichts nützen. Und das Mittelmeer wird nicht breit und tief genug sein. Wenn Afrika anfängt seine Konflikte zu exportieren, wird Europa nicht in Ruhe schlafen. Das heißt aber im Umkehrschluss, nicht weil wir gute Menschen sind und an Dialog interessiert, weil wir uns morgens beim Rasieren oder Frisieren im Spiegel gerne zunicken und denken, Mensch, was sind wir doch für gute Menschen, nicht deswegen, sondern aus ganz nüchternen, realistischen Gründen.

In einer globalen Welt wird die Belle Etage und das Kellergeschoss nicht mehr getrennt voneinander sein oder nur in Ausnahmefällen etwas voneinander mitbekommen. Das wird die Sicherheit der Ersten Welt in der Belle Etage genauso betreffen wie die Zukunftsperspektive der Menschen im Kellergeschoss, in der Dritten Welt. Daraus ergibt sich ein Zwang, den man negieren kann. Man kann sagen: “Bitte, schöne Reden am Sonntag!“ Aber wenn es um zusätzliche finanzielle Mittel geht, wenn es um eine Initiative geht, die wirklich etwas verändert - „das ist zu teuer, die Prioritäten sind andere, damit gewinnen wir keine Wahlen, wir blenden das aus“ - kann man machen, aber die Konsequenz wird einen dennoch einholen.

Diplomatie hat in diesem Zusammenhang eine nicht neue Funktion bekommen, aber die Gewichtsverlagerung innerhalb des Funktionenbündels der Diplomatie, d.h. der Organisation des Verkehrs zwischen den Staaten, löst sich ein Stück weit ab von den Staaten, löst sich zunehmend stärker ab vom jus bellum, dem Recht zum Kriege, d.h. der gewaltsamen Durchsetzung der eigenen Interessen, und gewinnt mehr und mehr den Charakter eines transnationalen Interessensausgleichs. Das heißt nicht, dass die Interessen nicht mehr existieren, aber dass das Ausgleichselement in den Vordergrund tritt.

Funktioniert das auch für Kulturen? Ich habe meine Zweifel. Verstehen Sie mich nicht miss, es sind Zweifel. Es spricht sicher nichts dagegen, es zu probieren. Aber ich glaube, Kulturen und der Austausch zwischen Kulturen funktioniert auf einer anderen Ebene.


Einen dritten und letzten Punkt lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ansprechen. Wenn die Grundthese richtig ist, und da wir hier über ‚Baustelle’ reden, habe ich den Eindruck, dass sich das ganze internationale System gegenwärtig in einer Situation der ‚Baustelle’ befindet. Allerdings fürchte ich, dass wir in den nächsten Wochen Entwicklungen erleben werden in unserer direkten nationalen Nachbarschaft, wo uns Europäern klar gemacht wird, dass die Baustelle Europa oberste Priorität für uns haben muss, und auf dieser Baustelle sieht es nicht gut aus. Auch da, im übrigen, eine interessante Entwicklung. Selbstverständlich können sich die Europäer Renationalisierung auf ihre Gefühlswelt erlauben, der Preis, den sie dann allerdings bezahlen, wird gewaltig sein.

Wenn die USA sich aus dem Irak zurückziehen, was wird dann sein?

Wir Europäer werden unsere geopolitische Lage nicht verändern können. Die Konsequenzen, die sich aus dem Irak ergeben, werden meines Erachtens sehr tiefgreifend, sehr nachhaltig negativ wirkend sein. Sie merken, ich bemühe mich jetzt um diplomatische Sprache. Ich hätte auch sagen können, das wird ein Desaster; mit dem werden vor allem auch die Europäer zutun bekommen aufgrund unserer geopolitischen Lage. Wenn ich das in den Zusammenhang setze mit der Gesamtentwicklung in der arabisch-islamischen Welt, wenn ich mir die Entwicklung im gesamten Bereich der Nuklearwaffen anschaue, die sogenannte „Achse des Bösen“, Irak ein Desaster, wo man nur beten kann, dass der Zerfall des Staates innerhalb der Grenzen des Staates stattfindet und nicht überspringt auf die ganze Region oder auf Teile der Region, der Nahostkonflikt, weiter denn je von einer Lösung entfernt, Syrien, der letzte laizistische Staat, in einem Bündnis mit der Theokratie in Teheran, der Iran, stärker denn je an der Schwelle zur Nuklearwaffe. Was wird das heißen für uns? Das heißt, dass sich unsere strategische Sicherheitslage fundamental verändern wird. Wenn der Iran nuklear geht, wird Israel anfangen, offensiv nuklear zu rüsten und zu zeigen. Das heißt, es wird auf regionale Abschreckungsdoktrinen hinauslaufen. Die Türkei und Ägypten haben bereits „zivile“ Nuklearprogramme angekündigt. Im Klartext: Sie werden nicht da stehen und sich das ruhig anschauen, sondern ebenfalls den Weg in diese Richtung gehen. Saudi Arabien wird mit hoher Wahrscheinlichkeit folgen. Andere, und damit komme ich sozusagen in den Zirkelschluss, andere werden folgen, kleine und mittlere Staaten.

Das heißt aber, wir werden eine Phase der nuklearen Definition von Souveränität, eine Wiederbelegung der Souveränität durch die Verfügung über die Nuklearwaffe auf kleiner und mittlerer Ebene bekommen. Das ist im Übrigen auch die Botschaft von Nordkorea.

Wenn dem aber so ist, könnten Sie unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten sagen: “Warum nicht? Die großen haben das doch auch!“ Unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten mag das ein Argument sein, ich teil es nicht. Aber es geht hier nicht um Gerechtigkeit, sondern um die Folgen. Und da sage ich Ihnen, meine Damen und Herren, die wenigsten von Ihnen haben das mitbekommen, aber die Diplomaten haben es mitbekommen. Für mich war es ein Schock, erleben zu müssen, wie nach dem Terrorangriff von islamistischen Terroristen auf das indische Unionsparlament in Delhi sich eine Krise entwickelte, die das akute Potential einer nuklearen Konfrontation beinhaltete. Wie plötzlich diskutiert wurde: Karatschi gegen Mumbai. Das heißt aber, dass eine Welt nuklearer Souveränität, und Gott sei Dank waren es die USA, die dieses verhindert haben, dass eine Welt nuklearer Souveränität, und aus meiner Sicht wäre es nur eine Durchgangsphase, aber eine schlimme, dass das Risiko nuklearer Konfrontation unter dem Druck innenpolitisch instabiler Situationen, von religiösem Hass und Aufladung, die dadurch erfolgt, von nationaler Konfrontation, dass auch die Frage der Weitergabe nuklearer Technologie, um Waffenfähigkeit zu erreichen oder Schlimmeres gar an Terrororganisation, dass dieses ebenfalls exponentiell steigen würde. Eine solche Welt der nuklearen Souveränität ist das Gegenteil von dem, was ich meine, was an Lösungen angestrebt werden muss.

Wenn ich mir die Realität anschaue, die einzigen, die das Steuer rumreißen könnten, wären die großen Nuklearmächte, angeführt von den USA. Im Moment hört man, was eine neue Abrüstungsinitiative anbetrifft, so gut wie nichts. Die Leidenschaft dazu ist minimal, so dass wir in einer Situation sind, dass unsere unmittelbare Nachbarregion sich diese beiden, wie ich meine, sehr bedrohlichen Entwicklungen, nämlich regionale Destabilisierung, und dabei wird der Rückzug der USA aus dem Irak eine nicht unerhebliche Rolle spielen, und nuklearer Aufladung, dass das keine schöne Perspektive ist für uns. Sie merken, wie ich immer wieder zwischen der Sprache des Diplomaten und Sachkommunikation hin und her gehe. Ich hätte jetzt mit keiner schönen Perspektive die Dinge auch sagen können, wie ich sie eigentlich meine, aber das will ich nicht tun. Ich möchte Ihnen an diesem Beispiel auch klar machen, dass ich gelernt habe, dass die Sprache der Diplomatie, anders als in meinem persönlichen Alltag, wo ich die direkte Ansprache eigentlich schätze, aber meine Erfahrung die ist, dass, um Konflikte friedlich lösen zu können, die Sprache die Offenheit braucht, d.h. aber auch die Unklarheit, das Unbestimmte, um Brücken bauen zu können.

Wir werden in Zukunft also viel mehr als bisher im Bereich der Macht, dort wo Staaten agieren, im sich globalisierenden Umfeld des 21. Jahrhunderts, Diplomatie brauchen. Ich meine aber, dass die originäre Aufgabe bei der Kultur, und diese These würde ich, nicht um etwas von uns Diplomaten wegzuschieben, dass diese originäre Aufgabe von denen, die Kultur machen, aufgenommen werden muss. Die Intellektuellen, die Künstler, in ihrer ganzen Breite.

Wenn die Wahrheitsfrage wieder so ins Zentrum rückt, wenn wieder die Gefahr von Religionskriegen droht oder zumindest die Aufladung klassischer Konflikte durch religiöse Sinnstiftung, dann wird auch die Theologie hier ihren Anteil zu leisten haben. Ich würde es mir anders wünschen, ich gehöre zu dieser altmodischen Garde von Säkularen, die eigentlich der Meinung sind, dass die Überwindung des religiösen Zeitalters ein großer Fortschritt war. Ich glaube und fürchte, ich werde mich da Zeit meines Lebens nicht ändern, aber ich bin Realist genug zu sagen: Wenn diese Aufladung da ist, dann werden auch die Theologen ihren Beitrag zu leisten haben.

Dialog und Realismus sind für mich kein Widerspruch. Wenn Sie Dialog betreiben, ohne Realist zu sein, ohne einen eigenen klaren Standpunkt zu haben, dann werden Sie scheitern. Nur einen klaren Standpunkt zu haben, wird allerdings auch nur in die Konfrontation führen. Und früher oder später, dieses Beispiel liegt gegenwärtig vor unser Augen, ebenfalls zum Scheitern führen.

Ich plädiere also dafür, dass wir in einer Welt, in der wir unterschiedliche kulturelle Prägungen haben, in einer Welt, die gleichzeitig aber die Globalisierung realisiert, in einer Welt, die auf der Grundlage der Gleichheit nur funktionieren kann, dass wir hier alle Instrumente, die zu unserer Verfügung stehen, versuchen zum Einsatz zu bringen, um eine neue multinationale Ordnung zu schaffen. So wichtig die Sprache ist, verfestigen muss sie sich in Institutionen. Sprache ist vergänglich, dass wissen gerade Diplomaten. Verträge sind entscheidend und die Macht, auf die sie sich stützen. In einer Welt von morgen wünsche ich mir, dass wir hier zu neuen institutionellen Lösungen kommen. Deswegen glaube ich, dass die Idee der Vereinten Nationen, dass die Idee aber auch von transnationaler Integration, erst am Anfang ihrer Realisierung steht, dass ihre Problemlösungskompetenz noch nicht wirklich abgerufen wurde. Das sind aus meiner Sicht die Antworten, die uns im 21. Jahrhundert abverlangt werden. Ich fürchte aber, so manches Minenfeld wird zwischen einer positiven Antwort und dem heute noch liegen. Ob wir es klug durchschreiten, ob wir uns darauf vorbereiten oder ob es erst schlimmer Erfahrung bedarf, das wird die Zukunft zeigen.


Ich danke Ihnen.