Konferenz: Vorträge, Diskussionen, Performance

Hijacking Memory: Tag 4

Der Holocaust und die Neue Rechte

So 12.6.2022
Auditorium
10h
Eintritt frei

Auf Deutsch und Englisch, jeweils mit Simultanübersetzung in die andere Sprache

Weiteres Konferenzprogramm:

Do 9.6.2022
Fr 10.6.2022
Sa 11.6.2022

Foto: Peter Hapak (2021)

10–12.45h
Appropriation of the Holocaust by the Eastern European Far Right
Jelena Subotić

Subotić nimmt das postkommunistische Osteuropa in den Blick und zeigt, wie sich osteuropäische Rechtsextreme gängiger Narrative und Bilder des Holocaust bedienen, im Wesentlichen, um zwei politische Ziele zu erreichen: Zum einen nutzen sie die Erzählungen und visuellen Narrative des Holocaust, um das Leiden von nichtjüdischen nationalen Mehrheiten in der jüngeren und ferneren Geschichte zu hervorzuheben durch Vergleiche mit dem Leiden jüdischer Menschen im Holocaust. Zum anderen sollen die Verbrechen des Kommunismus als die vorherrschenden Verbrechen des 20. Jahrhunderts verankert und dem Holocaust gleich-, wenn nicht sogar übergeordnet werden. Im Kontext globaler Politik ist die Aneignung des Holocausts ein wichtiges Mittel der politischen Legitimation für die extreme Rechte, deren öffentlicher Rückhalt auf die Verbindung von nationaler Trauer und Ressentiments baut.

Illiberal Memory Politics of the Holocaust in Hungary
Andrea Pető

Ungarn wurde in den letzten Jahren sowohl durch den Boulevard als auch von Qualitätsmedien als Negativbeispiel genannt, wenn es um die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg ging. Ungarn galt hier als „Nullpunkt“ eines Paradigmenwechsels in der Erinnerungspolitik, der sich etwa in Polen durch den Erlass eines berüchtigten Gesetzes durch die rechtspopulistische PiS-Regierung widerspiegelte. Dieses Gesetz kriminalisiert bestimmte historische Forschungsperspektiven. Der Paradigmenwechsel forciert auch die Nationalisierung bisher transnationaler Narrative, die Verdrängung der jüdischen Religion, Opferkonkurrenz, die Einführung von neuen Begriffen, Euphemismen, sowie Antiintellektualismus. Der Vortrag untersucht, wie diese neu etablierten Formen der Holocaust-Erinnerung von institutionell und international verankerten Akteur*innen sowie der ungarischen akademischen Gemeinschaft mitgetragen werden. Analysiert wird auch, wie sich die russische Aggression gegen die Ukraine auf dieses autoritäre Holocaust-Narrativ auswirkt.

Entfällt
“Denazification of Ukraine”: Political Semantics in the Age of Fusion Genocide
Yohanan Petrovsky-Shtern

Selbstbewusste Ukrainer*innen sind laut Putins Propaganda Nazis, prorussische Ukrainer*innen die „wahren slavischen Brüder“. Dieses Narrativ der Teilung dient den militärischen Zielen der russischen Invasion und den langfristigen Plänen zur Auslöschung der Ukraine als souveräner Staat. Petrovsky-Shtern zeigt, dass die „Denazifizierung“ der Ukraine von Beginn an als Genozid geplant war, gerade weil sie auf rassistischen Einstellungen und fremdenfeindlichen Mythen aufbaut.

Empty Symbols: The Memory of the Holocaust in Fascist Russia
Nikolay Koposov

Heute bekennen sich autoritäre Regime und populistische Parteien überwiegend zu demokratischen Werten. Man könnte das für den weltweiten Erfolg der Demokratie halten, doch sind demokratische Begriffe und Symbole in autoritären und populistischen Kontexten bei weitem um keine harmlose Strategie. Denn die Prinzipien und Symbole werden zu leeren Formeln umfunktioniert. Wie entwertet Putins Propaganda die Sprache und Symbolik der demokratischen Erinnerungspolitik? Wie kommt es zu ihrer Aushöhlung und ihrem Einsatz als leere Floskeln?

Vorträge mit anschließender Diskussion und Q&A, moderiert von Mischa Gabowitsch

14.15–17h
Russische Propaganda: Instrumentalisierung des Völkermords bei dem Angriff auf die Ukraine
Mykola Borovyk

Die Instrumentalisierung der Geschichte, insbesondere des Gedenkens des Zweiten Weltkriegs, ist eines der Hauptmotive der russischen Propaganda während der Herrschaft von Wladimir Putin. Verwendet werden in diesem Zusammenhang nicht nur Konzepte und Symbole, die der russischen Gesellschaft bekannt sind und bedeutsam erscheinen. Auch Konzepte, die für die westliche Erinnerungskultur von zentraler Bedeutung sind, werden instrumentalisiert. In seinem Beitrag untersucht Borovyk, wie der Begriff „Völkermord“ gegenwärtig benutzt wird, um die russische Aggression gegen die Ukraine zu rechtfertigen: Wie hat sich seine Bedeutung verändert? Welche Zielgruppen sollen damit erreicht werden?

The Misuse of the Holocaust and the Fluid Russian Nationalism Today
Alexander Verkhovsky

Was steht in Zeiten des Krieges zur Debatte? Verkhovsky geht zunächst auf quantitative Veränderungen der antisemitischen Äußerungen in Russland seit 2014 ein. Zweitens untersucht er, inwiefern sich die Instrumentalisierung des Holocaust durch die Staatspropaganda seit dem 24. Februar 2022 verändert hat. Drittens kommen komplexe Perspektiven auf die Strafverfolgung der Holocaustleugnung in Russlands liberalen Kreisen zur Sprache, sowie der Zusammenhang mit russischen Praxen anti-extremistischer Justiz.

Entfällt
Die gegenwärtige Instrumentalisierung des Holocausts in Russland und Belarus
Alexander Friedman

„Der Russe ist nun wie ein Jude im Berlin des Jahres 1940“, brüllt der extravagante Leningrad-Sänger Sergei Schnurow in seinem Lied Kein Zutritt, das im März 2022 erscheint. Er spielt dabei offensichtlich auf die Deportationen der Jüdinnen und Juden aus der Reichshauptstadt an, die 1941 begannen: So heißt es im Text, in Europa behandle man heute die Russ*innen wie Hunde; sie seien Menschen zweiter Klasse. Bald müssten sie möglicherweise spezielle Abzeichen tragen. Und am liebsten würden die Europäer*innen sie verbrennen. Schnurows Lied verdeutlicht die Instrumentalisierung des Holocausts in Russland und in Belarus im Kontext des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Hintergründe und Besonderheiten dieser Instrumentalisierung stehen im Mittelpunkt des Vortrages.

Unholy Alliance: Israel and the Far-Right in Europe
Ksenia Svetlova
Vorträge mit anschließender Diskussion und Q&A, moderiert von Mischa Gabowitsch

17.30–19h
Hijacking Memory of the Holocaust: From Treblinka, Through Auschwitz to the Warsaw Ghetto
Jan Grabowski

In den letzten Jahren wurde es schleichend zur gängigen Praxis der polnischen Politik, die Geschichte des Holocaust verzerrt darzustellen. Unterstützung dafür kam von den unterschiedlichsten Institutionen. Der Versuch, die jüdische Erinnerung an die Ereignisse zu verdrängen, die jüdische Präsenz in historischen Ereignissen zu schwächen oder überhaupt zu entfernen, all das waren Aspekte dieser Politik. Heute nimmt sie in Polen verschiedene Formen an: etwa die Fokusverschiebung weg von jüdischen Opfern hin zu rechtschaffenen Nichtjuden und -jüdinnen, oder das Umfunktionieren von Orten, die an jüdisches Leid erinnern. Wie sehr die Geschichte der Shoah verfälscht und und verzerrt wird, lässt sich heute aber am deutlichsten an Orten jüdischer Erinnerung ablesen: in Treblinka, Auschwitz, oder am Gelände des ehemaligen Warschauer Ghettos.

How the Polish Right is Rewriting the History of the Shoah
Konstanty Gebert

Im offiziellen Polen hat sich seit 2016 die Art und Weise, wie die Shoah dargestellt wird, grundlegend verändert. Die Vorstellung polnischer Beteiligung an der Shoah wird als verleumderisch ausgeschlossen, während die Bemühungen von polnischen „Gerechten“ als ein für die Zeit typisches Verhalten der polnischen Gesellschaft beschrieben wird. Diese Darstellungen werden von enormen öffentlichen Mitteln getragen und von einflussreichen politischen Persönlichkeiten unterstützt, während Kritiker*innen akademischen und strafrechtlichen Repressionen ausgesetzt sind. Dazu kommt eine Kampagne der strikten Verweigerung, den Opfern der Shoah und ihren Nachfahr*innen Eigentum zu restituieren. Mit diesen Entwicklungen ist Geschichtsverzerrung zur offiziellen polnischen Politik geworden.

Vorträge mit anschließender Diskussion und Q&A, moderiert von Susan Neiman

19h
Blinded in Remembering the Present? Ask Franz
Eran Schaerf

Eines Tages taucht Andreas – wie Romanfiguren es so tun – in meinem Leben auf und erzählt mir vom Unterschied zwischen erinnern und gedenken. Beim Besuch einer Gedenkstätte müsse er einsehen, dass er keine Erinnerungen aus dem ehemaligen Konzentrationslager mitnehmen kann. Die Zeit sei vorbei, aber er könne auch ohne eigene Erinnerungen der Geschichte gedenken. Er scheint aus einer Zeit zu kommen, in der Erinnerung als nationalpolitische Währung noch nicht im Handel ist. Ich denke, Andreas muss Franz kennen, der über den Völkermord an den Armeniern geschrieben hat. Franz kommt aus einer anderen Zeit, das weiß ich, also borge ich mir bei Suchan ihre Uhrwerke aus, um die Multichronologie meiner Geschichte zu proben.

Lecture Performance

Hijacking Memory

Hijacking Memory: Tag 1

Der Holocaust und die Neue Rechte

Konferenz: Vorträge, Diskussionen, Screenings

9.6.2022

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Hijacking Memory: Tag 2

Der Holocaust und die Neue Rechte

Konferenz: Vorträge, Diskussionen, Screening

10.6.2022

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Hijacking Memory: Tag 3

Der Holocaust und die Neue Rechte

Konferenz: Vorträge, Diskussionen, Konzert

11.6.2022