Lesung und Gespräch

Haiti — Perle und falsches Paradies

Mit Hans-Christoph Buch, Louis-Philippe Dalembert, Eric Sarner und Elisabeth Wandeler-Deck

Do 21.7.2016
20h
Lesung und Gespräch: Eintritt frei Film solo: 6€/4€ (nur an der Abendkasse ab 19h erhältlich)
Open-Air auf der Dachterrasse
Auf Französisch und Deutsch mit Simultanübersetzung
Bild: Nicolas de Fer, Le golfe de Mexique, 1717 (Ausschnitt)

Zeitreisen, Raumsprünge, Erinnerungspoetiken und polyphone Beschwörung: Die „Perle der Antillen“, die André Breton „Heimatland des Surrealismus“ nannte, Schauplatz der ersten geglückten Sklaven-Revolte, diktatorischer Regimes und Naturkatastrophen, ist Symbol unerschöpflichen Widerstands.

Einer ihrer wichtigsten Gegenwartsautoren ist Louis-Philippe Dalembert. Über drei Generationen spannt er in Jenseits der See (2008 auf Deutsch erschienen) eine mehrstimmige Erzählung von Verschleppung und Exil, von Fernweh und Migration. Hans Christoph Buch hielt 1990 die Frankfurter Poetikvorlesung über Die Nähe und die Ferne — Bausteine zu einer Poetik des kolonialen Blicks. Zu Haiti hat er zahlreiche Reisebücher, Reportagen, historische Essays und Romane geschrieben. Die Chronik eines ungeklärten Todes schreibt Eric Sarner in Windpassage. Eine Reise nach Haiti (1998 auf Deutsch), auf den Spuren des Autors und politischen Aktivisten Jacques Stéphen Alexis während der Diktatur François Duvaliers. Zwischen Prosa und Lyrik bewegt sich Elisabeth Wandeler-Decks Piraten. Haitianische Topographien (2004), ein Parcours zwischen Haiti und Zürich, durch historische, soziale und poetische Realitäten mit der Insel als Sehnsuchtsort eines herrschaftsfreien Raums.

Kuratiert von Aurélie Maurin und Eric Sarner, moderiert von Cornelius Wüllenkemper

Der Journalist, Lyriker und Romancier Louis-Philippe Dalembert wurde 1962 in Port-au-Prince geboren. Nach erster journalistischer Arbeit in Haiti ging er 1986 nach Paris, um Journalistik und Komparatistik zu studieren, und schloss dort 1996 seine Promotion über den kubanischen Schriftsteller Alejo Carpentier ab. Der sich selbst als „Vagabund“ bezeichnende Dalembert lebt heute zwischen Paris, Rom und Port-au-Prince. Zu seinen wichtigsten Werken zählen neben Les dieux voyagent la nuit (2006) die haitianische Familiensaga L’autre face de la mer (1998; Jenseits der See, 2008), die über drei Generationen hinweg die Wanderungen einer Familie vom Beginn der Kolonisierung bis hin zur Flucht auf den Kanus der Boatpeople erzählt. Zu den zahlreichen Ehrungen Dalemberts zählen u. a. der Prix RFO du Livre und der Premio Casa de las Américas.

Hans Christoph Buch, 1944 in Wetzlar geboren, ist Literaturtheoretiker, Essayist und Publizist. Er studierte in Berlin Germanistik und Slawistik und promovierte bei Walter Höllerer. Es folgten Gastdozenturen unter anderem in San Diego, New York und Hongkong. Breite Beachtung fand 1990 seine Poetikvorlesung an der Universität Frankfurt, Die Nähe und die Ferne – Bausteine zu einer Poetik des kolonialen Blicks. In den 1990er Jahren trat er besonders hervor mit Reportagen aus Krisengebieten, schon seit den 1980er Jahren ist Buch dem karibischen Raum und speziell Haiti verbunden, welches Schauplatz u. a. seines Romanessays Tanzende Schatten oder der Zombie bin ich (2004), seiner historisch-politischen Analyse Haiti – Nachruf auf einen gescheiterten Staat (2010) und des Romans Baron Samstag oder Das Leben nach dem Tod (2013) ist.

Aurélie Maurin, geb. 1975 in Paris, studierte Literaturwissenschaft und Linguistik in Paris. Sie lebt seit 2000 als freie Veranstaltungskuratorin für verschiedene Institutionen und Autoreninitiativen in Berlin, seit 2002 Projektleiterin bei der Literaturwerkstatt Berlin. Sie ist Mitherausgeberin der Buchreihe VERSschmuggel (Verlag Das Wunderhorn) und der deutsch-französischen Kunst- und Literaturzeitschrift La mer gelée. Sie übersetzt Lyrik; letzte Publikationen:
Christian Prigent: Die Seele (zusammen mit Christian Filips); roughbooks, 2015
Thomas Brasch: Belles sont les rimes Les rimes te mentent (zusammen mit Bernard Banoun); hochroth paris 2015.
Seit 2016 Vorstand im „Netzwerk freie Literaturszene Berlin (NFLB) e.V.“

Eric Sarner ist Dichter, Journalist und Filmemacher. Er lebt heute zwischen Berlin, Montevideo und Paris. 2014 erhielt er den renommierten Max-Jakob Preis für seinen Gedichtband Coeur chronique. 1990 begab sich Sarner auf Haiti auf die Suche nach dem Schriftsteller und Aktivisten Jacques Stephen Alexis, der 1961 die Insel von der damaligen Diktatur unter François Duvalier befreien wollte und verschwand. Sein Buch Windpassage. Eine Reise nach Haiti bei Klett-Cotta (1998) verwebt die vergebliche Suche nach dem Vermissten zu einer Chronik der blutigen Umstände eines unaufgeklärten Mordes mit kolonialen Geistergeschichten und den Hoffnungen eines jungen Revolutionärs auf ein Wunder.

Elisabeth Wandeler-Deck, geboren 1939, ursprünglich Architektin, Soziologin und Psychotherapeutin, publiziert seit 1975 regelmäßig als Schriftstellerin. Ihre Texte fließen ebenfalls ein in ihre Arbeit als improvisierende Musikerin mit Komponistinnen, bildenden Künstlern und Performerinnen – u. a. mit dem Performance-Duo KRAK. Ein Besuch in Haiti 1993 und die Teilnahme an einem Symposium zu Postcolonial German Literature an der Washington University 1997 trugen zur Entstehung von Piraten – Haitianische Topografien bei, welches 2004 im bilgerverlag Zürich erschien. Sie erhielt u. a. den Anerkennungspreis der Stadt Zürich 2012 und den Basler Lyrikpreis 2013. Zu ihren neuesten Veröffentlichungen gehören der Prosaband Das Heimweh der Meeresschildkröten (2015) und die Lyriksammlung Arioso – Archive des Zukommens (2016).