Kuratorisches Statement

Faschismus, erklärte Umberto Eco in seinem vielzitierten Aufsatz Der ewige Faschismus, habe keine politische Philosophie, nur Rhetorik. Seine Eigenschaften ließen sich in kein System ordnen, weil Faschismus nicht den Verstand, sondern die Unvernunft anspricht. In den 1950er Jahren entwickelte ein Forscher*innen-Team – Theodor Adorno, Else Frenkel-Brunswik, Daniel Levinson und Nevitt Sanford – die sogenannte F-Skala („F“ für faschistisch) und vermittelte es im Rahmen der weit rezipierten Studie The Authoritarian Personality. Die F-Skala sollte die psychologische Faschismusempfänglichkeit demokratischer Bürger*innen ermitteln und die Verschiebung des individuellen und autonomen liberalen Subjekts hin zum irrationalen, rasenden Mob erfassbar machen. Ausgestattet mit diesem Kriterienkatalog faschistischer Eigenschaften wurde faschistische Gewalt in den folgenden Jahrzehnten pathologisiert – und entpolitisiert. Das gegenwärtige Wiederaufleben des Faschismus und Figuren wie Jair Bolsonaro, Rodrigo Duterte oder Donald Trump werden aktuell vor allem auf diese Weise erklärt, als ein Abdriften in den Wahnsinn oder als unkontrollierte, sich an der Öffentlichkeit entladender Wutausbruch, die die bürgerliche Gesellschaft überrennt.

Im Jahr 1950, als The Authoritarian Personality erschien, argumentierte auch Aimé Césaire in seinem Aufsatz Über den Kolonialismus, was Europa „Faschismus“ nenne, sei nichts anderes als koloniale Gewalt, die in der Heimat zurückschlägt. Der Siedlerkolonialismus, so Césaire, gehöre nicht der Vergangenheit an, sondern sei nach wie vor die strukturgebende Logik offizieller wie inoffizieller Machtverhältnisse und bestimme über die ungleiche Verteilung von Nutzen und Lasten. Die Sozialdemokratie ist nicht das absolute Gegenteil des Totalitarismus, sondern kann totalitäre Formen in sich aufnehmen. Die sogenannten goldenen Jahrzehnte westlicher Sozialdemokratie waren geprägt von rassistischer Unterdrückung im Inland und kolonialer Gewalt im Ausland. Und viele Elemente, die den Faschismus definieren, wie staatlich sanktionierter Terror, rassistische Zuschreibungen oder außergerichtliche Tötungen schreiben sich, wenn auch in veränderter Form, in den gegenwärtigen Gesellschaften fort.

Aber Césaires Warnungen verhallten unbeachtet. Das Verhältnis zwischen Siedlerkolonialismus und Faschismus wurde kaum theoretisiert und unzureichend verstanden. Gleichzeitig ermöglichte die vereinfachte politische Erzählung vom Machtkampf zwischen Freiheit und Unfreiheit im Kalten Krieg dem Westen, die koloniale Frage und die Kämpfe der „Dritten Welt“ zu umgehen und Faschismus und Kommunismus unter der Pauschalbezeichnung „Despotismus“ oder „Totalitarismus“ im Endeffekt miteinander zu verschmelzen. In den 1950er Jahren wurde Faschismus zu einem breiten Oberbegriff für das undifferenziert Böse. Der Nachkriegskonsens, Faschismus sei eine Negation oder Verzerrung, nicht etwa ein konstitutives Merkmal der Moderne, konnte sich verfestigen.

Faschismus, argumentiert die Konferenz The White West: Whose Universal?, ist weder Psychologie noch Anomalie. Faschismus ist ein struktureller Aspekt der Moderne.

Mit ihrer Gegenüberstellung von fortschrittsresistenten „Stammesmitgliedern“ und „Primitiven“ einerseits und den Anhänger*innen des Fortschritts andererseits definiert sich die Moderne gewöhnlich durch die Auffassung, die Zukunft würde sich von der Vergangenheit unterscheiden. Diese Form von Differenz basiert allerdings auf einer weiteren angenommenen Differenz: rassialisierte Differenz. Indem sie sich selbst außerhalb von Zeit und Raum verortet, wird die Moderne zu einer parallel zu und vor dem Hintergrund von Grenzerweiterungen agierenden Mission. Hier treffen sich Aufklärung und Imperialismus. Der Universalismus verdrängt, intolerant gegenüber dem Anderssein, alle Anderen. Die Aufteilung der Zukunft wird zur Aufteilung des Territoriums, und somit zur Aufteilung des Lebens.

Heute findet das Erbe des Kolonialismus nach wie vor Ausdruck in einer Sprache, die dem zeitgenössischen Publikum vertraut ist und nicht hinterfragt wird, weil sie überzeugend klingt. Grundsätze wie Offenheit, Universalismus, Humanismus, Freiheit und Individualismus sind kolonial aufgeladen und gehen Hand in Hand mit einer globalisierten und in der westlichen Hegemonie verwurzelten Wirtschaftsentwicklung. Ohne die Bereitschaft, sich mit jenen rassistischen Strukturen auseinanderzusetzen, die diesen westlichen Epistemologien zu Grunde liegen, werden die Rufe nach universellen Werten oder Grundsätzen, deren strukturelle Mängel jedoch eine Kritik am rassistischen Kapitalismus nur unzureichend zulassen, einen uneindeutigen Raum öffnen in dem viele quasi-politische Haltungen in Richtung Faschismus orientiert werden können.

The White West: Whose Universal? prüft die Schnittstelle von metaphysischen Vorstellungen und kolonialem Erbe. Zudem untersucht die Konferenz die bisher wenig diskutierten Kontinuitäten zwischen Faschismus und Siedlerkolonialismus.

Kader Attia, Anselm Franke, Ana Teixeira Pinto

Die vorherigen Editionen der Serie fanden in La Colonie, Paris (The White West I und The White West II) und der Kunsthalle Wien (The White West III) statt.