Über Sprache und Rassismus

Von Alice Lanzke

Foto: Markus Winkler/Unsplash

„Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ - Rassismus in unserer Sprache ist ein regelmäßiges Streitthema. Die Fronten wirken verhärtet, eine Auseinandersetzung mit rassismuskritischer Sprache lohnt sich dennoch.

„Folgen Sie dem Ruf exotischer Frauen, rassiger Zigeuner und mutiger Stierkampfhelden nach Spanien, dem Land der Sonne und Kastagnetten“: Was sich wie eine übersteigerte Auflistung rassistischer Stereotype liest, stammt tatsächlich aus der Einladung zu den „Opern & Operetten Festspiele“ Magdeburg 2005. Gut zehn Jahre später ist zwar einiges besser, aber nicht vieles anders geworden. Seien es nun gut gemeinte Kulturveranstaltungen oder Medienberichte, Schulbücher oder unser ganz alltäglicher Sprachgebrauch – in vielen Bereichen finden sich rassistische Benennungen und Redewendungen, die benutzt werden, teilweise ohne dass den Sprechenden die Problematik bewusst ist.

Das wird etwa deutlich, wenn man den Begriff „Afrikafest“ googelt: Die Trefferliste beinhaltet unterschiedlichste Kulturveranstaltungen, bei denen in bester Absicht ein rassistisches Vorurteil ans andere gereiht wird. Da ist von „rhythmischen Trommeln“ und „exotischen Genüssen“ die Rede, während sich auf den Veranstaltungsplakaten Elefanten, halb bekleidete Schwarze Menschen und Savannenlandschaften finden – wenige Worte und Bilder genügen, um einen ganzen Kontinent auf gängige Klischees zu reduzieren. Bei brasilianischen Tanzshows wird dagegen oft von den „rassigen Tänzerinnen“ geschwärmt, während beim Bericht über eine chinesische Kunstausstellung die „Mandelaugen“ der einführenden Rednerin nicht unerwähnt bleiben dürfen – sprachliche Etiketten, die phrasenhaft reduzieren und Vorurteile bedienen.

Diese Etiketten sind das Ergebnis eines unbedachten, im schlimmsten Fall ignoranten Umgangs mit Sprache, der Menschen diskriminiert. Welche Auswirkungen derartige Benennungen haben können, zeigte sich etwa in der so genannten Kinderbuchdebatte im Dezember 2012: Damals wurde quer durch die Feuilletons und in der breiten Öffentlichkeit über rassistische Sprache in Kinderbüchern gestritten, ausgelöst durch den Leserbrief der kleinen Ishema Kane an „Die Zeit“. Zuvor hatte die Wochenzeitung kritisch darüber berichtet, dass das N-Wort aus Kinderbüchern getilgt wird – eine Position, die die Neunjährige verletzte, wie sie schrieb.

Geht es um Rassismus in unserer Sprache, fallen die Reaktionen auch heute heftig aus. Das lässt sich nicht nur in Fällen beobachten, die wie die Kinderbuchdebatte für Schlagzeilen sorgten. So begegnen einem im Alltag immer wieder Menschen, die das Wort „Asylant“ verteidigen, und nicht einsehen wollen, dass dieser Begriff durch den massiven Gebrauch in der rechtsextremen Szene mittlerweile stark negativ konnotiert ist. Andere sprechen – nicht erst seit Thilo Sarrazin – von „Kopftuchmädchen“ und reduzieren damit sprachlich auf ein äußerliches, generalisierendes Merkmal, das wenig über den einzelnen Menschen aussagt. Wieder andere finden es treffend, von „rassigen Tänzerinnen“ und „exotischen Trommelklängen“ zu schwärmen: Adjektive, die durch Rassentheorie und Kolonialzeit geprägt wurden und so nicht nur aufgrund ihres pauschalisierenden Charakters problematisch sind.

Und selbst Begriffe wie „Mohrenkopf“ oder „Zigeunerschnitzel“ erweisen sich als hartnäckige, sprachliche Wiedergänger.Obwohl diese Bezeichnungen aus ganz unterschiedlichen Kontexten stammen, haben sie doch eines gemeinsam: Sie machen deutlich, wie fest verankert Rassismen in unserem täglichen Sprachgebrauch sind; Bemühungen, sie aufzugeben, verursachen Debatten in Medien und sozialen Netzwerken, im schulischen und außerschulischen Bildungsbereich, in der Politik oder dem kulturellen Sektor – überall wird darüber diskutiert, wie wir miteinander sprechen, wer über wen spricht und mit welchen Begrifflichkeiten wir dabei hantieren. Gleich bleiben auch die Argumente der GegnerInnen eines diskriminierungssensiblen Sprachgebrauchs. Schnell fällt das Wort von der „Sprachpolizei“, wird übersteigerte Sensibilität diagnostiziert oder aber gleich eine vermeintliche „Sprachdiktatur“ angeprangert.

„Stell dich nicht so an...“

Das haben zum Beispiel die Neuen deutschen Medienmacher (NdM) erfahren, als sie 2014 ihr Glossar mit „Formulierungshilfen für die Berichterstattung im Einwanderungsland“ vorstellten. Die NdM sind ein bundesweiter Zusammenschluss von Medienschaffenden mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen, die sich als gemeinnütziger Verein seit 2008 für mehr Vielfalt in den Medien, migrantische Perspektiven in der Berichterstattung sowie einen diskriminierungsfreien öffentlichen Diskurs einsetzen. Eben jener Diskurs soll durch das Glossar gefördert werden, indem etwa problematische Begriffe aus den Themenbereichen „Flucht und Asyl“, „Migration“ oder „Islam“ vorgestellt werden, erläutert wird, worin die Problematik besteht und alternative Benennungsmöglichkeiten aufgezeigt werden.

Nicht selten werden etwa im selben Text Wörter wie „Einwanderer“, „Zuwanderer“ und „Migrant“ nebeneinander verwendet in der irrigen Annahme, sie würden alle dasselbe bedeuten. Doch gerade in der emotional aufgewühlten und sensiblen Diskussion um Migration und Minderheiten sollten Benennungen – so sie denn nötig sind – möglichst präzise und wertfrei sein.Ausdrücklich als „Debattenbeitrag“ und „Hilfestellung“ für die tägliche Redaktionsarbeit eingeführt, gab es dennoch einige KritikerInnen, die der Publikation als Ganzem vorwarfen, eine überbordende Political Correctness zu propagieren, die Sprache gleichschalten zu wollen oder übertriebenes „Gutmenschentum“ zu fördern. Reaktionen, die so gut wie alle AkteurInnen kennen dürften, die sich für eine diskriminierungsfreie Sprache einsetzen.

Ein weiterer häufiger Vorwurf: Man solle sich nicht so „anstellen“, es gehe schließlich nur um Worte. Diese Haltung verkennt die Bedeutung und Wirkung von Sprache. Sprache beeinflusst unsere Wahrnehmung und damit auch unsere gesellschaftliche Realität. Sie findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern ist immer auch Ausdruck von (Macht-) Verhältnissen. Und: Sprache ist niemals neutral. So verschleiert beispielsweise das vermeintlich objektive Wort von der „Entdeckung Amerikas“, dass eine brutale und unzählige Menschenleben kostende Kolonialisierung stattfand. Noch deutlicher wird das Problem beim Begriff „Reichskristallnacht“: Obwohl weit verbreitet, handelt es sich doch um die beschönigende Bezeichnung der Reichspogromnacht, welche den Auftakt der systematischen Judenvernichtung bildete.

Mehr als ein Werkzeug

Gerade aktuelle Diskussionen folgen dabei einem immer gleichen Muster: Jemand äußert Kritik an diskriminierendem Sprachgebrauch, es folgt eine heftige Diskussion (vor allem in den sozialen Netzwerken), die Kritik wird als übertrieben diffamiert und die Debatte schläft wieder ein. Oft genug wird der Streit dabei auf einer Ebene ausgefochten, die Sprache als bloßes Werkzeug sieht – als Instrument, dessen Regeln sich im korrekten Gebrauch des „Dudens“ und der Beherrschung von Grammatik und Zeichensetzung erschöpfen, als wertfreies Mittel der Informationsvermittlung. Doch Sprache ist viel mehr als das: Sie ist eine Grundlage unseres menschlichen Miteinanders, ihr bewusster Gebrauch ein Zeichen gegenseitigen Respekts. Zu jenem Respekt gehört, jeder und jedem zuzugestehen, dass sie oder er selbst bestimmt, wann eine Bezeichnung als diskriminierend erlebt wird.

Wenn also etwa Schwarze Menschen das N-Wort als rassistisch empfinden, dann hat das nichts mit Zensur, Überempfindlichkeit oder Denkvorschriften zu tun, sondern ist einfach das legitime Einfordern von Respekt und Ausdruck einer Selbstverständlichkeit in unserer heutigen pluralen Gesellschaft.Doch warum ist der Widerstand gegen solche Selbstverständlichkeiten so heftig? Kritik an diskriminierungssensiblem Sprachgebrauch reiht sich oft ein in eine ganze Liste antimodernistischer Tendenzen, zu denen nicht selten ebenso Anti-Feminismus, Rechtspopulismus oder Homophobie gehören. Gemein ist ihnen die Ablehnung von Weltoffenheit, Vielfalt und Toleranz – Eigenschaften, die von den entsprechenden Gesinnungsgenossen als anstrengend, weltfremd und überflüssig bezeichnet werden.

Das gemeinsame Mantra lässt sich in den meisten Fällen auf ein „Früher war alles besser“ herunterbrechen. Tatsächlich scheint gerade beim Thema „Rassismus und Sprache“ die Vergangenheit einfacher gewesen zu sein: Kritischer Sprachgebrauch war einmal eine fast ausschließlich akademisch geführte Diskussion. Doch einfacher heißt in diesem Fall nicht besser. Es mag sein, dass die Sprache früher weniger Fallstricke bot, doch wurden auch viel mehr Menschen durch unbedachten Sprachgebrauch verletzt. Der Unterschied: Heute erheben diese Menschen ihre Stimme und benennen rassistische Zu- und Beschreibungen in unserer Sprache deutlich.

Dass wir uns nun öffentlich darüber streiten, ob es einen Unterschied zwischen „Migranten“, „Einwanderern“ und „Zuwanderern“ gibt, ob es „Flüchtling“ oder „Geflohener“ heißen sollte und wann ein „besorgter Bürger“ doch einfach nur ein „Nazi“ ist, kann insofern schon fast als Fortschritt bezeichnet werden. Denn Stück für Stück rückt so ins öffentliche Bewusstsein, dass Sprache verschiedene, komplexe Dimensionen hat. Entsprechend geht es nicht immer nur darum, was gesagt wird, sondern auch um das „Wie?“ und um die Frage, wer mit wem über wen spricht. Sprache wird vor diesem Hintergrund zu einer täglichen Chance, Einfluss auf unsere Gesellschaft und ihre Werte zu nehmen.

In dem Maße, in dem Sprache Wirklichkeit formt, bietet sie schließlich auch die Möglichkeit, an dieser Formung teilzuhaben – im Guten wie im Schlechten. Denn schon der von den Nazis verfolgte jüdische Romanist und Politiker Victor Klemperer, der nach dem Zweiten Weltkrieg seine Abhandlung „Sprache des Dritten Reiches“ („Lingua tertii imperii“) publizierte, bemerkte, dass Wörter wie winzige Arsendosen wirken können: „Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“

Autor*in: Alice Lanzke