1984: Horror um die Halle

Ein Baustoff der Moderne steht in Verruf – ein neuer, alter Grundstein wird gelegt

Die Hörzu 1984: , "Eine Schreckensvision: Halteseile bersten ..., Hörzu (Ausschnitt)

Im Januar gelingt es einem Journalisten des Tagesspiegel, in das Innere der Kongresshalle vorzudringen. Was er entdeckt, führt zu einem Artikel unter dem erstaunlichen Titel „Motten im Vortragssaal und ein Telefon im Kochtopf“. Wasserschäden überall, Stacheldrahtrollen im Foyer, im Restaurant die Tischplatten und Fußböden zerstört. … Gruselszenen in der ruinösen Halle.

Ein andere Reihe von Horrorvorstellungen scheint durch den Beschluss des Berliner Senats, die Kongresshalle erstens jetzt wirklich und zweitens mit einem „ansichtskartenähnlichen“ Dach aus Spannbeton wieder aufzubauen, einen vorläufigen Abschluss zu finden. Die Bauverwaltung hat Vertrauen. Vertrauen in stahlarmierten Beton.

Das war jahrelang durch den Zusammensturz der Kongresshalle im Mai 1980 schwer erschüttert. Die Morgenpost fürchtete sich danach: „Überall werden Großbauten geprüft, nur bei uns nicht.“ Und tatsächlich geht es bald Schlag auf Schlag. Anfang Juni 1980, Meldung aus der betonarmierten Werkstatt der Berliner Stadtreinigung: „Riss in der Hallendecke und die Wand wölbt sich.“ Ende Juni 1980, Panne mit der abrissreifen Schmargendorfer Autobahnbrücke: „Der Betonschreck geht um in Berlin“. Dann wird ein weiteres prominentes Bauwerk einsturzgefährdet geschrieben: „Schließt die Deutschlandhalle!“ Für den Tagesspiegel ist die Betonangst schon längst ein Zeichen, fast ein Menetekel der Lage in Berlin. „Brüchiger Baumodernismus“ kommentiert selbst eine Zeitung aus dem fernen Rosenheim.

1983 dann wird in Darmstadt der Wiederaufbau der Kongresshalle zum Thema an der Technischen Hochschule – natürlich ohne die Mängel der Vergangenheit. Das alte Dach, so heißt es wörtlich in den Mitteilungen des Instituts, „zermürbte wie eine Bügelschnur, bei der ein dickeres Verbindungsstück zwischen Bügeleisen und Schnur vergessen wurde.“ Das soll nun bei der neuen Halle nicht mehr passieren. Medien fassen die geplante Konstruktion zusammen: „Das geschwungene Dach wird wie eine Brücke über der Halle schweben, auf zwei superstarken Pfeilern ruhen. Das flache Dach des Auditoriums wird verstärkt und hat mit der Auster darüber keine Verbindung mehr.“ Das ist genau die Konstruktion, wie sie Architekt Hugh Stubbins ja ursprünglich auch vorgesehen hatte, ohne brüchige Hilfsstützen. Und so wird am 14. Mai 1984 erneut Grundsteinlegung gefeiert in der John-Foster-Dulles-Allee. Der amerikanische Innenminister William Clark ist zum 35. Jahrestag des Endes der Berlin-Blockade zu politischen Gesprächen in Berlin – und schwingt nun symbolisch den Spaten zum Start des Wiederaufbaus. Die Gespräche, die Clark zu führen hat, sind nicht so erfreulich, es geht um den sowjetischen Boykott der Olympischen Spiele von Los Angeles, aber auch um Meinungsverschiedenheiten zwischen Deutschen und Amerikanern in strategischen Fragen: Wie weit reicht der Schutzschirm Amerikas für Europa wirklich? Den Spaten jedenfalls, so der US-Innenminister, will er Ronald Reagan mit nach Washington bringen. Eine amerikanische Militärkapelle schmettert das flotte Lied von der Berliner Luft. Die alte, nun mit Dokumenten des Zusammenbrcuhs aufgefüllte Kassette wird erneut in den Grundstein eingebacht. Eine alte Bekannte ist auch wieder dabei, Eleanor Dulles, die inzwischen 80 geworden ist, aber immer vor Ort, wenn es um ihr Berliner Lieblingsprojekt geht.

Doch die Schreckensmeldungen hören nicht auf, rund einen Monat später schreit BILD „Baustop? Bombentrichter neben der Kongresshalle“. Auch andere Zeitungen berichten, rund um die Kongresshalle hätte es in den letzten Monaten des Krieges einen regelrechten Bombenteppich mit einer großen Menge Blindgänger gegeben. Aber der Bau geht weiter …

Man schreibt November 1984, und zum ersten Mal taucht ein Vorschlag zur Nutzung der Kongresshalle auf, der nicht nur einen der zahlreichen kommunalpolitischen Papierkörbe füllen wird: Die Halle als Ort eines künstlerischen Nord-Süd-Dialogs.
Axel Besteher-Hegenbart

Hörzu, 1984
Der Tagesspiegel, 29.1.1984
BILD Berlin, 19.4.1984
Süddeutsche Zeitung, 16.5.1984
Die Morgenpost 31.5.1980
Berliner Morgenpost, 4.6.1980
Die Welt, 27.6.1980
Deutsche Wochenzeitung, 6.6.1980
Darmstädter Tagblatt, 11.8.1983
Die Welt, 14.5.1984
Süddeutsche Zeitung, 16.5.1984
BILD Berlin, 23.6.1984
Spandauer Volksblatt, 23.6.1984
Berliner Morgenpost, 11.11.1984