1976: Erinnerungen an die Zukunft

Zwischen Helmut Schmidt, Hanns Martin Schleyer und Matthias Walden

Helmut Schmidt und Hanns Martin Schleyer, Copyright: ullstein - Behr

Ein besonderer „Dialog der Kulturen“ kommt parallel zur Grünen Woche 1976 in der Kongresshalle in Gang: Die Resultate einer Umfrage unter West-Berliner Schülern zu deren Urteilen und Vorurteilen über die „Ländler“ werden zur Diskussion gestellt. Dabei sind – neben dem Bundeslandwirtschaftsminister – Jugendliche aus Stadt und Land. Eine Berliner Skurrilität ist das ebenso wie die Ansagen auf dem Landesparteitag der CDU an gleichem Ort, dass man künftig ein Atomkraftwerk in der Stadt brauche.

Dafür spielt in den Dritten Internationalen Kongress der Akupunkteure, der im Mai in der Kongresshalle stattfindet, große Politik hinein: Fraglich bleibt bis zuletzt, ob Spezialisten aus der Volksrepublik China teilnehmen werden. Das nicht deshalb, weil die Halle in West-Berlin steht, sondern weil die VR befürchtet, bei der Tagung könnten auch Akupunkteure von Taiwan anwesend sein. Dann würde ein Boykott durch Festlands-China folgen, und das Mutterland der Nadelheilkunst wäre nur durch Ärzte von der – nach kommunistischer Lesart – abgespaltenen Insel vertreten. Was die Festländer zu diesem Zeitpunkt nicht wissen können: Im September, nur vier Monate später, wird der Tod Mao Zedongs bekanntgegeben, und nach den abermillionenfachen Trauerbezeugung werden in tödlichen Nachfolgekämpfen die Grundlagen für das heutige China gelegt.

Das ist einer der Gefühlskitzel beim Lesen jahrzehntealter Zeitungen: Man weiß, wie die Geschichte weitergegangen ist. Das weiß man von der Kanzlerschaft Helmut Schmidts, der im Oktober 1976 in der Kongresshalle die gerade eben nur knapp gewonnenen Bundestagswahlen auswertet und die SPD für allzuviel Extratouren rüffelt. Man kennt die bald folgenden Auseinandersetzungen um amerikanische Raketen auf deutschem Boden und das Misstrauensvotum 1982. Und man weiß auch vom Schicksal des Präsidenten der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände Hanns Martin Schleyer, der im selben Monat an selber Stelle spricht. Der dazu aufruft, die Unternehmer und ihre Führungskräfte müssten sich viel stärker in die Politik einmischen. Fast genau ein Jahr später wird sein Leichnam im Elsass aufgefunden, eingezwängt in den Kofferraum eines Audi. „Wir haben nach 43 Tagen Hanns Martin Schleyers klägliche und korrupte Existenz beendet“, bekennt sich in einem Schreiben die RAF zu dem Mord. 43 Tage einer Entführung und Gefangenschaft in einem sogenannten „Volksgefängnis“. 6 Wochen im Herbst 1977, in denen der Krisenstab der Bundesregierung hart bleibt gegen die Forderung nach Freilassung der Führungsgruppe der RAF aus der Stammheimer Haft, auch gegen das Flehen Schleyers auf den Videobotschaften. 1976 in der Kongresshalle spricht er über Zukunft, über die der Marktwirtschaft.

Pointiert wie immer nimmt auch der SFB-Kommentator Matthias Walden Stellung, auf einer Kundgebung des „Bund Freies Deutschland“ zum 15. Jahrestag des Mauerbaus. Die Politik der Brandtschen Ostverträge passt ihm nicht: Eine „Politik der Gefälligkeiten“ gegenüber dem kommunistischen Osten nennt er das in der Kongresshalle. Walden, der im Fernsehen maliziös rauchend und glasscharf auch mal mit Cohn-Bendit argumentiert, markiert in diesen Jahren die Position der extremen Ablehnung aller Entspannungsschritte. Statt „Wandel durch Annäherung“, wie Brandt es formuliert, sei das „Wandel durch Anbiederung“. Die Wiedervereinigung hat Matthias Walden, der in den 80er-Jahren als zukünftiger Chef des Springerkonzerns aufgebaut wurde, dann nicht mehr erlebt.
Axel Besteher-Hegenbart

Presseinformationen der AMK, Typoskript
Der Abend 26.5.76
Spandauer Volksblatt 14.11.1976
Neue Hannoversche Zeitung 14.10.76
Berliner Morgenpost 9.10.1976
www.wdr.de


Berliner Morgenpost 17.8.1976