Interview mit Wera Ostwaldt

1956/57 und 2006/07 Gestalterin der Wappen an der Kongresshalle

Wera Ostwaldt gestaltete die Wappen im Eingangsbereich des Gebäudes, © Wera Ostwaldt

Frau Ostwaldt, Sie haben gerade wieder, wie vor fast 50 Jahren, die Wappen für die ehemalige Kongresshalle angefertigt. Wie war das für Sie?

Na, das fand ich ganz toll. Nun war das natürlich auch toll für die Architektin, die ins Telefonbuch guckte und mich da fand. Meine Tochter war am Apparat und sagte: „Die steht hier, die gebe ich Ihnen.“ Und dann waren wir natürlich beide erst einmal perplex – sie, die diese Antwort bekam, und ich, die erstmal nachgefragt hat. Dann sagte sie: „Ja, könnten Sie denn die neuen Wappen anfertigen?“ Und ich dachte: „Ja, natürlich, klar, ich habe ja meine Werkstatt noch.“ Na wunderbar, das war’s, nicht? Dann hatte ich den Auftrag. Und ich finde es schon toll, dass ich – Dank dem da oben – mit achtzig Jahren noch so fit bin und das alles noch kann trotz meiner zwei neuen Knie und meiner neuen Hüfte…was habe ich noch, zwei neue Augen …[sie lacht]. Dass ich trotz alldem noch so fit bin, dass ich das alles schaffe. Und ich habe auch jetzt die Wappen von A bis Z alleine gemacht. Es dauerte natürlich länger. Früher habe ich immer gesagt: „Na ja, schön, wenn wir nicht fertig werden, dann nehmen wir noch eine Nacht dazu.“ Aber das schaffe ich nicht mehr. Um eins ist es dann aus.

Hat Sie das an die damalige Zeit erinnert? Haben Sie alles noch einmal erlebt, sich an Details erinnert?

Früher war alles viel hektischer. Da kam viel zusammen – da war gerade die Frankfurter Messe vorbei und wir saßen mit lauter Aufträgen da. Und da war es dann immer so ziemlich schwierig. „Was machst du jetzt erst? Lötest du da mal? So lange das trocknet kann ich jetzt wieder das machen….“. Das war schon sehr hektisch. Und dann zwei kleine Kinder, ein und zwei Jahre, die da rumsaßen und auch versorgt werden wollten. Aber ich hatte ja die Werkstatt oben und meine Eltern wohnten auch da und haben mir die Kinder auch mal abgenommen. Wenn mein Mann nach Hause kam, wurde gebrannt. Dann wurde in Ruhe gearbeitet. Und da haben wir es dann wirklich geschafft, lange nachts zu arbeiten. Damals war also alles ziemlich hektisch. Heute habe ich es mir ganz gemütlich gemacht. Es ist ja sehr schön, wenn man für einen Auftrag eineinhalb Jahre Zeit hat, ihn auszuführen. Wobei man erst einmal immer ruhmreich herumgelaufen ist [und sich gesagt hat]: „Ach, ich habe einen tollen Auftrag!“ Aber jetzt muss man es auch machen. Ich habe damals alles ganz sorgfältig mit der Hand gelötet und geklammert, also es [mir] ganz furchtbar schwierig gemacht. Heute habe ich den Rand fräsen lassen. Und ich habe sie [die Wappen] ganz genau so gemacht [wie früher], wobei mir aufgefallen ist, dass der Berliner Bär – also oben hat er so ein kleines Tor – …also, da habe ich damals oben einen Strich vergessen. Also war der [damals] eigentlich falsch. Und der ist jetzt in dem neuen [Wappen] drin. Das war [damals] auch ganz aufregend, aber ich konnte nie so intensiv daran arbeiten, wie ich es jetzt konnte.

Und ich habe, was meine Spezialität ist, die Emaille geschliffen, bis sie matt war. Da habe ich Stunde um Stunde gesessen und das war schon schwierig mit der Arthrose. Aber die sind jetzt wirklich ganz toll, ich bin schon ganz stolz auf mich [sie lacht]. Was ich ja in meinem Leben noch nicht so oft war. Außer bei eurer Geburt [mit Blick auf ihre Tochter].

Die Kongresshalle zur Eröffnung 1957, © Wera Ostwaldt

Also früher waren die Probleme ganz andere. Wann wurden denn die Wappen angebracht? Wie kann man sich das vorstellen?

Das war bei der Grundsteinlegung. Heute ist das ja in zwei Meter Höhe. Damals war noch die Baugrube ausgehoben. Und dann mussten wir runtergehen und jeder sagte: „Warum ist denn jetzt der Grundstein unten?“ Bloß der Boden war ja ausgehoben und die ganzen geladenen Gäste saßen eben da unten. Die Eröffnung war dann ja ein Jahr später, das war natürlich ein tolles Ereignis. Berlin war damals – in Schutt und Asche will ich nicht sagen – aber noch so ziemlich marode. Überhaupt: So ein modernes Ding dahin zu kriegen, fanden wir schon alle ganz toll.

Vielleicht noch einmal zurück zur Grundsteinlegung. Das muss ein großartiger Tag für Sie gewesen sein. Wie kann man sich das überhaupt vorstellen?

Na ja, da waren alle Leute, die wichtig waren. Da war der Dieter Schulz vom Verein für Kunsthandwerk, der das Kunsthandwerk sehr gefördert hat und dem ich diesen Auftrag wohl auch verdanke. Und sonst waren Politiker da, die ganzen führenden Politiker. Und dann war da das Problem: Was ziehe ich an? Irgendwie was habe ich dann gefunden, was abendlich und schick war. Die Autos fuhren da alle vor… Also, das war schon ein ganz toller Empfang. Und ich als Dreißigjährige fühlte mich schon sehr geschmeichelt.

Es gab ja die Berliner und die Amerikaner, die Besatzungsmächte. Amerika nun besonders, da die ja auch als Geldgeber interessant waren. Und es war eben so ein richtiges „O-Erlebnis“. Dass ich nun selber beteiligt war, war sehr aufregend. Berlin wurde damals sehr gefördert. Wir hatten den Verein für Kunsthandwerk. Und das Kunstamt, wie das ja damals hieß, hatte sehr viele Mittel, auch vom Marshall-Plan. Da hatten wir ja Mittel gekriegt, so dass werdende Künstler oder auch schon gestandene Künstler Aufträge bekamen vom Senat. Da musste man dann irgendeine Arbeit machen und bekam drei Monate lang 500 Mark. Das war ja ein Vermögen damals. Da sind wir alle sehr gefördert worden […].

Die Eröffnung 1957: Vor der Freitreppe, © Wera Ostwaldt

Sie haben vorher schon angedeutet, dass die Einweihung der Kongresshalle für Sie ein ganz besonderes Ereignis war. Sie waren damals ja auch persönlich mit Ihrem Mann geladen. Erzählen Sie noch etwas von der Einweihung?

Im Unterschied zu der Grundsteinlegung, die ja da unten in der Kiesgrube stattfand, war das natürlich ein stinkvornehmer Tag. Und da war dann noch das Problem: Man musste doch die Haare irgendwie machen. Und ich ging dann zu irgendeinem Friseur am Ku’damm, das kostete ein Heidengeld. Ich sah grässlich aus, aber…[sie lacht] es war halt eben schick. Und dann bin ich zum ersten Mal zu Horn [ein Kaufhaus] gegangen und habe gedacht: „Jetzt kaufst du dir mal ein richtig schickes Kleid.“ Und ich bin wieder raus gegangen und habe mir im KaDeWe vier Meter wunderbaren grauen Moirée gekauft und habe mich hingesetzt mit einem Schnitt und habe mir selber ein ganz tolles, schickes Kleid gemacht.

Wie war das denn am Tag der Einweihung? Fingen die Festlichkeiten abends an?

Nein, das fing schon tagsüber an. Es waren wahrscheinlich mehrere Partys. Also die Architekten untereinander und die Politiker und die privaten Leute. Das waren wahrscheinlich einige Partys an diesem Tag.

Und wo waren Sie?

Also…das war in der Kongresshalle vor dem Stein. Da ist doch diese Brücke und darunter ist der Stein. Und da haben wir uns, glaube ich, erst getroffen – na, da ging ja jeder vorbei. Da war der Empfang und jeder sah den Grundstein, so wie es heute auch noch ist, wenn man nicht unbedingt nach rechts orientiert ist und nicht nach links guckt. Aber das ist ja immer schlecht. Das war jetzt nicht politisch gedacht [sie lacht]. Es war …Reden, Reden, Reden. Ich weiß nicht, ob da schon Reuter war [der Bürgermeister], der ist ja noch später gekommen. Aber dass wir Deutschen einen amerikanischen Architekten bei uns hatten, der uns so ein Gebäude…und die Schwangere Auster war ja wirklich ein Gespräch und mit eines der ersten großen Gebäude, die wir in Berlin gekriegt haben…

[Die Tochter wirft ein: Wie war das denn bei dem Empfang?]

Es war teilweise ein Stehempfang. Die Reden fanden in der großen Empfangshalle statt. Da standen lauter Stühle. Da hat man sich hingesetzt und die Architekten sprachen über ihre Ideen, was sie gemacht haben, was man noch hätte machen können. Und der Hugh Stubbins, der ja nun leider nicht mehr kommen kann, weil er mit 90 Jahren gestorben ist, war ja auch fünfzig Jahre jünger. Man war da so ganz erfüllt davon: Unsere Stadt! Auf der einen Seite hatten wir da noch richtig viele Trümmer. Und dann entstand da im Tiergarten dieser Riesen-Rasen …und so gepflegt und in einer irren Form. Und jeder dachte natürlich: „So was gibt’s doch gar nicht.“ Und eines Tages war eben wirklich die große Welt zu uns gekommen. Und das gab uns einen wahnsinnigen Elan. Und was danach alles noch gebaut wurde, das kam ja alles danach.

Können Sie sich noch an Details erinnern, etwa an die Reden der Architekten?

Jeder hat es von seinem Standpunkt aus geschildert. Es war ja ein Heer von Mitarbeitern geworden und alle haben ihre Erfahrungen mitgeteilt und alle waren wahnsinnig dankbar, dem Bund und auch Amerika, die ja das Geld dazu gegeben haben.

Die Kongresshalle sollte ein Symbol sein. Hat man das damals so empfunden? Sie haben vorher schon geschildert, dass die Kongresshalle Teil eines Neuanfangs war nach dem Krieg, ein Neuanfang für Berlin, dass da ein Gefühl von der „großen weiten Welt“ aufgekommen ist…

Als wir 1945 befreit wurden, da fing das Gefühl an: Jetzt sind wir frei und jetzt wird in die Hände gespuckt. Und wir haben wirklich angefangen. Ich habe das Schicksal der Trümmerfrauen noch mitgekriegt. Wir dachten, wir machen aus den alten Sachen etwas. Wenn man sich das heute vorstellt, dass wir die Ziegelsteine von den zusammengefallenen Häusern genommen und da abgekloppt haben, mit den bloßen Händen, nicht, denn Handschuhe hatten wir ja nicht. Wirklich, zehn Stunden am Tag. Und damit haben wir uns den Neuaufbau von Berlin möglich gemacht. Mit dieser symbolischen Dachkonstruktion, die ja schwingend in die weite Welt hinausging – und diese große Treppe hatte mich damals auch so beeindruckt: dass man da stehen konnte und dann den Blick auf das Wasser hatte…und Berlin…das war ganz toll.

Autos in der Auffahrt zur Kongresshalle 1957 , © Wera Ostwaldt

Sie haben die Kongresshalle also als ein Symbol verstanden – auch als ein Symbol für die Freiheit oder als ein Symbol für Amerika?

Unsere Dankbarkeit für Amerika war sehr groß. Heute sieht man das ja anders. Aber das ist – aus meiner Sicht – wirklich ein Blödsinn. Wir haben den Amerikanern sehr viel zu verdanken. Ich hatte das Glück, dass meine Eltern gegen Hitler waren und wir immer den englischen Rundfunk gehört haben. Für uns war immer die Gewissheit da: Die helfen uns. Man kann sich das Chaos damals gar nicht vorstellen. Wir hatten nur eine Stunde Strom am Tag. Man musste nachts aufstehen, wenn man was bügeln wollte. Wir hatten da so eine wunderbare Kochnische. Das war eine Kiste, die war mit Holzwolle gefüllt und mit einem undefinierbar, völlig stinkenden Filz abgedeckt. Da wurde früh morgens ein Topf mit Wasser raufgestellt und dann wurde eine handvoll Trocken-Mohrrüben, die wir von Amerika her bekamen, da rein getan und mittags war das ein wunderbares Essen. Und das alles…wie das erste Weißbrot kam, was ja auch von den Amerikanern kam, der Weizen…Ach, und ich hatte immer die Angewohnheit, wenn ich Brot gekauft habe, da hinein zu beißen. Im Laden schon. Das fand mein Mann immer furchtbar. Der ist dann immer ein paar Schritte weitergegangen [sie lacht]. Aber ich fand das immer einfach wunderbar – in ein so großes Weißbrot hinein zu beißen, das war schon enorm. Und so ganz langsam ging es ja vorwärts. Es wurden dann die [Lebensmittel-] Marken abgeschafft und das Geld kam und man konnte dann schon langsam in Berlin [wieder normal leben]. Hier ging das später los, in Westdeutschland ja schon eher. Wir waren ja eine Insel. Wir waren immer noch auf die Amerikaner angewiesen und wir wussten auch: Die Amerikaner schützen uns. Was ja auch nicht immer so feststand, was wir [erst] nachher gehört haben. Und unser Dank gilt hundertprozentig den Amerikanern, denn die haben es wirklich geschafft – man sagt jetzt im eigenen Interesse – uns im Rahmen des Marshall-Plans wirklich völlig selbstlos – sagt man so – zu helfen. Und sie haben uns Menschen geholfen. Sie haben die Brücke nach Amerika und England und Frankreich geschlagen. Bei uns in Berlin ist ja alles viel bewusster und langsamer gewachsen [als in Westdeutschland], wir waren da immer ein bisschen hinten. In Westdeutschland hatten sie gleich die großen Straßen gebaut, während wir hier noch Schutthaufen hatten. Der Erfolg ist: Wir haben erst so spät Geld gekriegt, um unsere Straßen zu bauen, dass unsere Architekten überlegt haben: „Ja, was nützen uns dieselben kleinen Straßen. Wir müssen das größer bauen.“ Die haben dann eine Häuserzeile einfach wegradiert – die war ja wegradiert – also nicht wieder aufgebaut und zur Straße gemacht.

So gesehen stand die Kongresshalle für ein neues, weltoffenes Berlin. Abschließend noch eine Frage: Waren Sie später noch in der Kongresshalle oder im Haus der Kulturen der Welt zu Gast?

Also natürlich. Die haben ja immer ganz tolle Programme gehabt. Musikalische Sachen. Da kamen ja dann auch Jazz-Musiker dorthin, die dort [in der Kongresshalle] einen Abend gaben und irgendeine Theatergruppe, sei es aus Afrika oder so was. Das war für uns ja was ganz Dolles. Später – das Haus der Kulturen der Welt – das war für mich persönlich dann nicht so aktuell. Aber da gab es ja fantastische Ausstellungen. Es ist immer noch die Verbindung gewesen zur Welt. Es war ja erst Amerika und dann nachher erweiterte sich das dann eben auf die ganze Welt.

Berlin-Zehlendorf,
15. November 2006