Kuratorisches Statement

Wie wird die Kunst der Moderne zur „Gegenwartskunst“? Dieser Wandel scheint in direktem Zusammenhang mit der Globalisierung der Kunst zu stehen, auch wenn lokal jeweils sehr spezifische Gründe vorliegen. In dem Maße, da Methoden, Diskurse und der Austausch innerhalb der Kunst der Moderne zunehmend auf einem transnationalen Niveau stattfinden, muss auch die Kunstgeschichte nationale Rahmen überwinden und untersuchen, wie sich Künstler*innen global orientieren und positionieren.

“Misfits”: Lose Blätter aus der Geschichte der Moderne bietet einen exzentrischen Einblick in die Kunst der Moderne Südostasiens und ihre historischen Querverbindungen. Die Nation ist hierbei nicht länger das einzige Bezugssystem sondern lediglich einer von vielen Rahmen der Reflexion. Die Ausstellung bringt drei Künstler aus unterschiedlichen Kontexten zusammen, deren Arbeiten sich am Rande dessen bewegen, was heute als Moderne gilt. Obwohl ihre Arbeiten lokal große Bedeutung gewonnen haben, scheinen sie nicht recht in national orientierte kunsthistorische Narrative zu passen.

Viele der weltweit führenden Museen streben heute danach, ihre Sammlungen zu internationalisieren. Dabei fühlen sie sich gedrängt, Außenseiter*innen retrospektiv in die immer weitere internationale Familie der Moderne aufzunehmen. Solche „Entdeckungen“ versprechen, neues Licht auf die entsprechenden künstlerischen Praktiken zu werfen: jenseits spezifischer nationaler Vorurteile und entlang kosmopolitischer Tonlagen, oder anhand der Erkennungsmerkmale einer angeblich globalen Gegenwartskunst. Jedoch sehen sich diese namhaften Institutionen (und deren lokale Expert*innen) in ihrer oft begrenzten Kenntnis regionaler Kontexte und eingeschränktem Zugang zu Archivmaterial immer wieder in der Situation, selbst festzulegen, was im Oeuvre der Künstler*innen zentral ist und welche Arbeiten besonders einflussreich waren. Aus dieser misslichen Position heraus werden bestimmte Formen und Narrative hervorgehoben, andere wiederum gänzlich ignoriert.

Die Ausstellung fragt, wie die Arbeiten von drei „Unangepassten“ die geltende Geschichte der Kunst der Moderne – ihre formelle, institutionelle und ethno-politische Genealogie – verändern. Welche alternativen Narrative gehen aus diesen künstlerischen Positionen hervor, aus der Haltung dieser Künstler*innen zu Kunst und Leben; aus ihrem Austausch mit der Öffentlichkeit und der breiteren Kultur, jenseits der sozialen und formellen Hierarchien der „Schönen Künste“? “Misfits” präsentiert eine große Bandbreite an Formaten – Lyrik und Performance ebenso wie Illustrationen, Comics, Filme und Animationen und stellt bewusst den Stellenwert der Zeichnung als „unbedeutenderer“ Kunstform in Frage.

Das Werk jedes der drei Künstler verweist auf einen bestimmten Ort zu einem bestimmten Moment. Obwohl bekannt und angesehen, gehörten sie jedoch nie ganz „in ihre Zeit“: Überlegungen eines weltläufigen Humanisten zur Zeit, als Myanmar in die autoritäre Geschlossenheit abgleitet; ein Künstler-Dichter, der sich in chinesische Philosophie vertieft, während sich um ihn herum der Thai-Chauvinismus ausbreitet; ein Filmemacher, der den Punk lebt, als auf den Philippinen die Gewaltherrschaft gestürzt und die Demokratie zum bestimmenden moralischen Horizont des öffentlichen Lebens wird. Im Kontext der nationalen Auseinandersetzungen – in allen drei Fällen diktatorische Regimes – verkörpern diese Künstler neue, noch fragile Formen der Handlungsfähigkeit. Sie wenden sich einem neuen planetarischen Szenario zu, vom kalten Krieg genau so sehr beeinflusst wie von den elektronischen Medien und ausgerichtet nicht nur auf das Zentrum der imperialen Macht, sondern auch Positionen der Postkolonialität. Was steht zur Disposition in ihren Berichten und was lässt sich aus ihnen lernen?

Diese drei einzigartigen Karrieren öffnen unerwartete thematische Resonanzräume um Themen wie Natur und Glauben, Körper und Schreiben, um neu entstehende Kulturen und Politik im damaligen Satelliten-Zeitalter. Und doch liegt ihre größte Gemeinsamkeit vermutlich nicht so sehr im Thematischen als im Materiellen: Wie viele berühmte Künstler*innen der Moderne konnten diese drei kaum von ihrer Arbeit leben. Ausgehend von sorgfältigen Studien ihres Schaffens und ausführlichen Gesprächen mit Expert*innen untersucht “Misfits”, was genau diese Künstler zu Außenseitern machte, warum sie dennoch so einflussreich wurden und weshalb ihre Arbeiten heute wichtig sind.

David Teh